Inhaltsverzeichnis
- Die Russen kommen
- Evakuierung
- Das Leben nach der Evakuierung
- Deportation nach Russland
- Feldarbeiten noch im Jahre 1945
- Die Enteignung 1946
- 1946 Arbeit an den Bahnlinien
- Hungersnot im Jahre 1947
- Als ich 15 war und eine Lehre suchte
1. Die Russen kommen
Es war ein schöner, sonniger Augusttag. Mein Bruder und ich befanden uns außerhalb von Großau, ganz nahe von der Straße unter dem Berg (Rech). Plötzlich, was war zu sehen:
Eine große Menge Reiter, es waren Russen, die Kosaken. Schön gekleidet, mit roten Kappen und dunkelblauen Uniformen, mit rot umfassten Aufsätzen. Sie sahen darin sehr gut aus. Anschließend kamen Panzer, viele Wagen ohne Ende, mit Mulis und Pferden und am Ende Kamele. Als sie sich der Ortschaft näherten, kehrten wir mit meinem Bruder um und gingen nach Hause. Es dauerte nicht lange, da kam ein Kosake in unseren Hof und schrie laut: „Dawai KONI!“ (Das heißt: „gib Pferd!“) Er ging in den Pferdestall, nahm sich von unseren beiden Pferden eins und weg war er der Kosake. In den meisten Fällen ließen sie ein müdes Pferd oder ein Pferd mit kaputten Hufeisen zurück. Zum Beispiel bei meiner Tante Benning da ließen sie einen Kaltblüter zurück. So ein schweres und starkes Pferd gab es in Großau noch nicht.
2. Evakuierung September / Oktober 1944
Einige Tage später da die Russen kamen, ging ein Trommler durch die Gassen und schrie laut, dass man innerhalb von zwei Tagen Großau verlassen muss. Denn die Russen wollten in Großau das Kommandament (im Pfarrhof, gesichert durch die Wehrburg) und Krankenhäuser errichten. Großau war ein geeigneter Ort mit der großen Schule und Häuser die große Zimmer hatten. Somit durfte keiner der Einheimischen in der Ortschaft bleiben. So hieß es nun, schnell den großen Wagen richten und das Notwendigste einpacken was man auf der Flucht brauchte.
Weil man ja nicht viel mitnehmen konnte (denn wir hatten ja für den Transport nur noch ein Pferd), wurden im Keller und im Schuppen Gruben in die Erde gegraben und große Kisten reingelegt. Darin wurden die wertvollen Sachen, wie zum Beispiel die guten Kleider, insbesondere die Trachten, wertvolles Porzellan, Geschirr, Schmuck und vieles mehr, hineingelegt. Die Gruben wurden mit Erde zugeschüttet, mit vielen Gegenständen bedeckt und wir hofften sehr nach der Evakuierung alles wieder vorzufinden.
Der große Wagen war schnell voll mit den notwendigsten Sachen und alles andere ließen wir so zurück, als würde man morgen wieder zurückkommen.
An den Eingangstüren des Hauses musste der Schlüssel stecken.
Da wir nur noch ein Pferd hatten, taten wir uns zusammen mit einem Nachbarn, der auch nur noch ein Pferd hatte, und so wurden die zwei großen Wagen hintereinander gehängt, die zwei Pferde angespannt und so ging es los Richtung Kleinscheuern, wo die Leute schon mit offenen Toren und mit winkenden Händen riefen: "Kommt zu uns herein!" So kam es, dass wir zusammen zu einer Familie auf einen Hof kamen, mit großem Gebäude wo bereits eine Familie aus Bessarabien einquartiert war. Und nun kamen auch wir zwei Familien noch dazu. Kann man sich so was vorstellen?
Nun waren fast zwei Monate (vom 26. September bis 23.0ktober) vergangen, da verließ das Kommandament Großau und zog weiter. Die Krankenhäuser blieben noch lange. Da durften wir wieder nach Hause. Es war kalt, die Kartoffeln und Rüben standen im Wasser und Eis auf dem Feld, die Weintrauben bedeckt mit Schnee. Man konnte es nicht fassen was man alles sah ... Im Hof lagen die wertvollen Sachen verstreut - alles was man vergraben und versteckt hatte lag da herum - sogar in der Nachbarschaft konnte man sich so manches wieder finden. Das Leben musste weiter gehen. So packte man an und brachte alles so gut es ging in Ordnung.
3. Das Leben nach der Evakuierung
Das Kommandament war nun weg aus Großau. Die Krankenhäuser in der Schule und in den Häusern, wo große Zimmer waren, die blieben noch lange. In der Zeit, da die Krankenhäuser noch in Großau waren, wurden vom Rathaus jeden Tag Leute zugeteilt, um in den Krankenhäuser Ordnung zu halten, so wie die Betten beziehen, Bettwäsche und Kleidung zu waschen. Ich selber war mal im Haus V/2I. Fußboden schrubben. Ich kann mich noch erinnern, wo wir die Schulklassen hatten - in der XI. Gasse (Harnischgasse ) bei den Familien Kasper, Martini und Fleischer, in der VI. Gasse (Fless), bei den Familien Huber, Schartner und Eckenreiter. In der Alten Schule und im Kindergarten zwei Klassen.
4. Deportation nach Russland 13. Januar 1945
Vom 9. – 13. Januar1945 wurden von der Regierung über Nacht, auf Befehl der Russen, alle Männer von 17 - 45 Jahren und die Frauen von 18 - 32 Jahren einberufen und mit Viehwagons nach Russland zu den Wiederaufbauarbeiten deportiert. Es blieben nur noch die Kinder und die Jugendlichen bei den Großeltern zurück. Die Deportierten mussten 5 Jahre bei großer Kälte und Hunger in Kohlebergwerken, Steinbrüchen und Kolchosen schwer arbeiten, wodurch viele starben. Schwer Erkrankte wurden in die damalige Ostzone (spätere DDR) transportiert, wo auch viele verblieben. Diejenigen die überlebt hatten, kehrten erst 1949 in ihre Heimat zurück. Unser Vater kam schon nach 3 Jahren nach Hause, da er 45 Jahre erfüllt hatte.
An dem Tag der Deportation, als man sich im Rathaushof versammelt hatte, stieg eine junge Frau über das Tor, lief nach Hause und versteckte sich. So blieb sie daheim. Für den Transport aber, war eine bestimmte Zahl vorgeschrieben. Wenn einer fehlte, so nahm man jemanden, egal von wo, denn die Zahl der Deportierten musste stimmen. Als dann alle versammelt waren, ging es zu Fuß los nach Neppendorf zum Bahnhof. Man trieb die Leute, als wären es Tiere, in Begleitung von russischen Soldaten. Es war ein eiskalter Tag wie noch nie. In Neppendorf verschwand eine junge Frau bei Nacht aus dem Saal, ging zu Fuß durch den Jungen Wald, bis nach Poplaka. Bei einem bekannten Rumänen klopfte sie ans Fenster und bat, er solle sie versteckt halten, denn sie wäre von den Deportierten aus Neppendorf weggelaufen, damit sie nicht auch nach Russland muss. Nach zwei Wochen kleidete er sie in rumänische Kleider und mit Pferd und Wagen brachte er sie nach Großau nach Hause, wo sie dann längere Zeit in einem guten Versteck bleiben musste.
Auch unsere Oma war mit den Enkelkindern allein geblieben. Die Kinder weinten so oft um ihre Eltern. Im Frühjahr, zu Ostern nach der Deportation, bat sie mich den Kindern Spielzeug zu machen, dann würden sie nicht so viel weinen! Sie hatte insgesamt 6 Enkelkinder. So machte ich verschiedene Spielsachen und das immer mal sechs. Was für eine Freude war das für die Kinder und auch für die Oma! In vielen Familien, wo die Eltern der Kinder von Russland nach Hause zurückkamen, erkannten die Kinder die Eltern nicht mehr und wollten sich von ihnen nicht umarmen lassen. Wie weh das den Eltern tat!
5. Feldarbeiten noch im Jahre 1945
Der landwirtschaftliche Boden gehörte noch uns, so mussten wir ihn auch bearbeiten. Pferd hatten wir nur noch eins, aber ein gutes. Mit dem konnten wir, mein älterer Bruder und die Geschwister, alles schaffen. Schule gab es noch keine nach der Evakuierung, so konnten wir gut arbeiten, so wie Heu, Klee, Hafer, Gerste und Korn mähen und vieles mehr. Nach dem der Grund und Boden den Rumänen zugeteilt wurde, hatte man auch unser Pferd einem Zigeuner zugeteilt, der am Ende der Ortschaft wohnte. So war es für uns sehr schwer geworden, denn wenn wir das Pferd brauchten, mussten wir ihn um das Pferd bitten. So geschah es später: wenn wir es wollten, dann brauchte er es auch. Eines Tages verkaufte er das Pferd, und kaufte sich ein anderes, ein schwächeres. Ihm blieb noch Geld übrig und wir hatten keinen Anspruch mehr auf das Pferd. Damit hörte unsere Feldarbeit auf. Mein Bruder ging zur Lehre als Zimmermann und ich blieb am Hof, mit Bastelarbeiten beschäftigt und lernte auch Schuhe zu reparieren, um etwas Geld zu verdienen. Mein ältester Bruder, der aus dem Krieg nach Hause gekommen war, konnte auf einer staatlichen Baustelle als Zimmermann arbeiten. Mit seinem Verdienst konnten wir irgendwie über die Runde kommen.
6. Die Enteignung
Die Häuser, Höfe und Felder (unser Eigentum) wurde den Kolonisten zugeteilt, sie bekamen einen Hof mit allem Drum und Dran:
2 Pferde oder Ochsen,6 Joch Grund, die landwirtschaftliche Geräte die sich auf dem Hof befanden. Es war alles da, was ein Bauer braucht; nun hieß es den Grund auch zu bearbeiten.
Bei einigen Kolonisten musste der Eigentümer gleich den Hof verlassen. Einige duldeten den Eigentümer noch einige Zeit. So wurde auch unsere Familie geduldet und wir blieben noch ein paar Monate in der Wohnung. Nun mussten wir auch raus, in ein kleines rumänisches Haus wo wir 8 Jahre verbrachten. Danach durften wieder nach Hause. Die meisten Betroffenen zogen mehrere Familien zusammen auf einen Hof oder in ein Haus, andere wiederum kamen auf den Pfarrhof oder in einen Nebenraum der Schule, wo man meist 10 Jahre wohnte und dann wieder nach Hause konnte. Das konnte nur geschehen, weil der rumänische Staat allen Kolonisten, ob sie reich oder arm waren, 18.000 Lei und ein Grundstück für nur 70 Lei gab. So konnte sich jeder Kolonist ein Haus bauen und in sein eigenes Haus einziehen. Und so kamen unsere Leute wieder zu ihrem Eigentum. Zu der Zeit als die Kolonisten unsere Höfe und 6 Joch landwirtschaftlichen Grund bekamen, musste dieses ja auch bearbeitet werden. Doch leider ging das nicht so wie man dachte. Wie wurde die Ackerfläche aufgeteilt?! Der Ackerboden, der sich immer in mehreren Meter und in verschiedene Längen zog, wurde quer geackert! So konnte man nicht mehr feststellen, wo und wem der Acker gehörte.
Wie bekamen die Kolonisten den landwirtschaftlichen Grund?
Eines Tages ging der Trommler durch die Gassen, trommelte laut und schrie: "Alle die im Recht sind, Ackerboden zu bekommen, sollen heute in den „Retz“ (Waldstück in der Nähe von Großau) gehen, denn heute wird der sächsische Ackerboden aufgeteilt. Von nun an gehört er demjenigen, der ihn bearbeitet."
Schon im ersten Herbst mussten die Kolonisten das Korn sähen, aber sie hatten von dem Korn, dass wir ihnen abgeben mussten, keines mehr. Das war nämlich so: Als wir im Sommer das Kom geschnitten und zum Trocknen in Haufen gelegt hatten, wurde vom Rathaus beschlossen, dass die Hälfte vom geschnittenen Kom, einem Kolonisten zugeteilt wird. Nach zwei Wochen kam ein Kolonist mit Pferd und Wagen und nahm sich seine zugeteilte Hälfte. So gehörte eine Hälfte ihm und die andere Hälfte uns. Als die Wagen beladen waren, fuhren wir gemeinsam zur Dreschmaschine wo das Kom gedroschen wurde. Danach machten sich jeder mit seinem Teil nach Hause. Nun hatte jeder sein Kom. Und was geschah nun: Der Herbst kam, die Kolonisten mussten jetzt das Kom säen, aber das Kom hatten sie gegessen und sie hatten kein Saatgut mehr. Im Rathaus wurde beschlossen: „wir gehen und nehmen den Sachsen ihr Kom weg.“ Und so geschah es dann. Mehrere Gruppen von Rumänen und Zigeuner, gingen von Haus zu Haus und nahmen uns das ganze Kom. Wir mussten zusehen, wie man unser Kom lachend wegtrug. Das Kormsähen war nun auf dem quer geackerten Boden geschehen. Doch weil bei Regen das Wasser nicht mehr abließen konnte, stand alles im Wasser.
Im Frühjahr wurde dann die Kollektiv (landwirtschaftliche staatliche Kommune) gegründet, und alle Kolonisten mussten jetzt mit ihrem Grund, Ochsen oder Pferde in die Kollektiv eintreten. Was noch gut zum Sagen wäre: Der Kollektiv wurde vorgeschrieben, eine moderne Wirtschaft zu gründen und mit Traktoren zu arbeiten. So geschah es, dass sie Traktoren bekamen und die Pferde zum Schlachten nach Italien verkauften. Man behielt nur noch wenige Pferde da. Nun kam Regenwetter. Mit den Traktoren konnte man nicht raus aufs Feld, die Pferde waren nicht mehr da, so gab es eine Missernte.
Im folgenden Jahr war eine Hungersnot da. In den nächsten Jahren traten viele Facharbeiter in die Kollektiv ein und so ging es dann immer besser.
In der Zeit da wir enteignet und entrechtet waren, hatten wir noch eine Kuh, die uns die Milch für jeden Tag, für die ganze Familie gab. Dann geschah es. Eines Tages kam eine Gruppe von Rumänen und Zigeuner in den Hof in Begleitung vom Bürgermeister (ein Zigeuner) und befahl unserer Mutter, sie solle die Kuh aus dem Stalle rausholen. Das konnte sie nicht. Da fragte sie den Bürgermeister: „Von wo hast du das Recht, uns auch noch die Kuh zu nehmen. Denke ich, hab sechs Kinder und brauche die Milch.“ Antwort: „Das Recht habe ich in der Hand, und das andere geht mich nichts an. Da unsere Mutter nicht tun wollte, was er sagte, hielt er sie an der Hand fest und schlug sie mit der Peitsche, drehte sie um sich herum und die ganze Gruppe klatschte in die Hände und schrien: „Gib ihr!“ Als die Kuh aus dem Hof rausgeführt wurde, viel unsere Mutter zu Boden und keiner von der Gruppe kümmerte sich um unsere Mutter. Nur wir Kinder weinten um das Geschehene. Das war so, weil wir Deutsche entrechtet waren, man konnte mit uns alles machen was man wollte.
7. Arbeit an den Bahnlinien 1946
Im Jahre 1946 in der Zeit, als wir Deutsche enteignet und entrechtet waren, war Bischof Müller nach Bukarest zum Minister Bolderasch gefahren und flehte um sein Deutsches Volk. Es würde verhungern ohne Arbeit. Jetzt sei er da, damit der Minister ihm helfe. Der Minister versprach ihm, er würde etwas für sein Deutsches Volk tun. Er solle beruhigt nach Hause fahren. Nach kurzer Zeit kam ein Gesetz, dass alle Deutsche in Siebenbürgen an den Bahnlinien arbeiten durften. So war es dann auch. Sehr viele Jungs und Mädchen nahmen das in Anspruch. Ich kann mich noch gut an die heißen Juli- und Augusttage erinnern, an denen wir mit meinem Freund Klamer Misch, kaputte Schwellen entfernten und durch neue Schwellen ersetzten. Es war eine harte und schwere Arbeit, aber man war froh, dass man Arbeit hatte! Später, laut Gesetz, konnten unsere Leute nun auch in einer staatlichen Farm oder in der Kollektiv arbeiten.
Hier ein Lied aus der Zeit:
„Morgens wenn die Herren noch schlafen,
gehen wir Mädel durch die Gassen,
mit dem Körbchen in der Hand,
Arbeit ist ja keine Schand.
Wir, die Mädel der Bahn. kommen bei der Rampe an.
In 2 Reihen wird aufgestellt, wird vorgelesen wer heut fehlt.
Der Pitcher sagt: "Hei plecare, fiecare la lucrare.
cu furca sa scuturati, taracopul sa lucrati”•
Tut ein Zug von ferne pfeifen, stehen wir alle gleich zur Seiten.
Jedes sind wir dann gespannt. ob einer drin, der uns bekannt.
Immer lustig, guter Dinge, was die Zeit auch mit sich bringe,
Arbeit ist vom lieben Gott, nur der Faule hat kein Brot.
Der dies Liedchen hat erdacht, hast an uns Mädchen auch gedacht,
an die Mädchen von der Bahn. es lebe, der es singen kann.“
Und was wurde an den Bahnlinien gearbeitet? Die Jüngeren und die schwächeren Leute jäteten das Unkraut auf dem Bahndamm, andere wechselten kaputte Schwellen. Die meisten waren beim Schienen- und Weichenwechseln. Dort brauchte man viele Leute, weil das immer schnell gehen musste und alles von Hand.
8. Hungersnot im Jahre 1947
Wegen der Missernte im Vorjahr, war die Hungersnot ganz schwer, so dass man auf dem Markt fast nichts bekam. Ich erinnere mich noch, dass unsere Mutter Brot backen wollte, aber kein Mehl hatte. So ging sie zu Fuß nach Gura Raului in die Mühle, um ein wenig Mehl zu kaufen. Aber es gab kein Mehl. Sie ging weiter nach Orlat in die Mühle, auch da bekam sie kein Mehl. Dann ging sie weiter bis nach Sacel und bat den Müller um ein wenig Mehl, sie hätte 6 Kinder und kein Brot und berichtete, wo sie schon überall war. Der Müller verstand unsere Mutter und gab ihr eine Maas Korn (Vierel) von 20 Liter. Von dem nahm er sich die Mahlgebühren. Das Kom wurde gemahlen und mit dem Mehl kam sie zu Fuß nach Hause. Zuhause hatte sie noch Gerstenmehl, so wurde aus zweierlei Mehle Brot gebacken und es war gut. Wie schwer es war für eine Mutter in der Zeit.
Mein älterer Bruder war schon im zweiten Jahr auf der Lehre, mit eigener Verpflegung. Ende März ging auch ich auf die Lehre (Maurer), auch mit eigener Verpflegung. Das war in Hermannstadt. Wie oft sagte unsere Mutter: „Kommt Mittwoch nach Hause, denn ich kann euch nicht Essen für die ganze Woche mitgeben.“ Und wenn ich mich erinnere, es war die ersten Wochen, wo wir auf einer großen Baustelle das Erdgeschoß mit der Hand ausgruben, da gab es zu Mittag nur ein wenig Brot, ein Ei, und einen Arde (Paprika). Das war's. Es kamen dann die Brotkartellen für die staatlichen Angestellten. Da wir am Rathaus von Hermannstadt Reparaturen machten, ging ich in ein Büro zu einer Frau und fragte, ob wir die Lehrlinge auch Esskartellen bekämen? Da sagte sie zu mir, sage deinem Meister er soll eine Liste von allen Lehrlingen machen. Abends als ich ins Büro zu meinem Meister ging und ihm sagte was ich möchte, da meinte er, dass nur staatliche Angestellte Esskartellen bekämen. Wir sind Privatunternehmer, so sind wir nicht berechtigt. Doch da sagte er zu seiner Sekretärin: „Mach ihm eine Liste!“ Am nächsten Morgen trug ich die Liste zu der Frau, und erhielt für alle 9 Lehrlinge die Esskartellen. Als meine Mutter die Kartelle sah, umarmte sie mich vor Freude!
9. Als ich 15 Jahre war und eine Lehre suchte
Es war Ende März, an einem schönen sonnigen Tag, da war ich in Begleitung meiner Mutter in Hermannstadt auf der Suche nach einem Lehrmeister. Das erste war eine Autoreparatur- Werkstatt. (Weindel) Der Meister sah mich an und sagte, wir stellen keine Lehrlinge mehr an, weil alles staatlich werden muss. Dann gingen wir weiter zu einem Kupferschmied, der uns dasselbe sagte. Traurig verließen wir die Werkstatt und gingen über die Zibinsbrücke. Plötzlich ein guter Gedanken und ich sagte zu meiner Mutter: „Wie wäre es, wenn ich Maurer lernen würde? Im Sommer Maurer und im Winter Schuster?“ „Einverstanden“ meinte sie! Nun gingen wir etwa 2 km zum Baumeister Lieker, der Maurer und Zimmerleute beschäftigte. Bei dem waren wir richtig, denn er suchte Lehrlinge. Er sagte uns, er käme Sonntag nach Großau zum Herr Engel, der bei ihm angestellt war und wir sollten bis dahin noch ein paar Jungs suchen. Und so kam es, dass wir schon Anfang April, mit dem Pferdwagen voll beladen mit Strohsäcken nach Hermannstadt zum Lehrmeister fuhren und in eine Kellerwohnung Unterkunft fanden, wo schon vier Großauer Lehrlinge aus dem Vorjahr waren. Es war gut. Fünf Stockbetten, ein Schrank, ein großer Ofen mit Gas, im Vorkeller eine Badewanne aus Beton (aber gut) und auch ein Klo. Dort lebten wir drei Jahre. Zwei Mal in der Woche hatten wir auch Fachkunde in einer großen Schule, immer Nachmittag 4- 8 Uhr. Im Winter war das sehr schwer wegen der Kälte, dem Schnee und den Wölfen, denn man ging zu Fuß bis nach Hermannstadt, aber immer in Gruppen. Und so vergingen die 3 Jahre.
Michael Hutter