Erinnerungen aus unserem Leben in Siebenbürgen und unserer Ausreise nach Deutschland 1990

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Inhaltsverzeichnis 

1. Vorwort
2. Mein Geburtsort Großau / Cristian
3. Die Vielfalt der siebenbürgischen Küche
4. Großauer Kirchenburg
5. Die Arbeit unserer Mutter als Burghüterin
6. Taufen in Großau
7. Konfirmation in Großau
8. Erinnerungen an Weihnachten in Großau
9. Leuchtersingen am 1. Weihnachtstag
10. Neujahrsglückwünsche in Großau
11. Unsere Jugendzeit in Siebenbürgen
12. Ausreise aus Rumänien nach Deutschland
13. Unser deutscher und rumänischer Unterricht in Rumänien
14. Zu Besuch in Rumänien

 

1. Vorwort

Viel Freude wünsche ich allen beim Lesen und mit den Fotos. Mir ist es ein Bedürfnis einige Erinnerungen aus unserem Leben in Rumänien und von unserer Ausreise nach Deutschland aufzuschreiben. Umso mehr ich mich damit befasse, wird mir klar, was für eine besondere Zeit das für uns war, als wir unsere Heimat verlassen haben und nach Deutschland, manche nach Österreich ausgewandert sind.

Dieser starke Wunsch nach mehr Freiheit war für mich der wichtigste Grund auszureisen. Das hat bestimmt jeder/jede auf die eigene Art und Weise erlebt. Da gibt es viel zu erzählen. Was uns aber vielleicht alle verbindet, wir wollten die geschlossenen Grenzen nicht akzeptieren.

Sehr geprägt hat mich in dieser Zeit in Rumänien diese starke Gemeinschaft zum Beispiel in der Familie, dem Freundeskreis und der Nachbarschaft. Dadurch, dass die wenigsten ein Auto hatten und immer viele Menschen zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs waren, kannten wir uns im Dorf. Das fand ich sehr schön. Mit unseren rumänischen Nachbarn und Freunden haben wir uns sehr gut verstanden. Heute noch freuen wir uns sehr, wenn sie uns in Deutschland besuchen und auch wenn wir nach Rumänien zu Besuch fahren. Wir fühlen uns mit ihnen verbunden. Zum Glück gibt es das Telefon und Handy.

Vielen Menschen aus Großau ist dieser Erhalt der Gemeinschaft auch heute noch wichtig. Auf eine ganz andere Art und Weise wie früher im Dorf. Aus diesem Grund wurde vor mehreren Jahren die HOG (Heimatortsgemeinschaft) Großau gegründet. Das Großauer Blatt erscheint seit 2002 regelmäßig einmal im Jahr.

Es gab immer viel Arbeit im Haushalt, am Arbeitsplatz, im Garten, auf dem Feld. Aber wir feierten auch gerne Feste miteinander. Wenn es uns schlecht ging, wegen Krankheit, Überforderungen - das oft genug vorkam - unterstützten wir uns gegenseitig so gut wir konnten.

Für mich war auch der Bezug zur Kirche immer „selbstverständlich“. Ich bin heute noch sehr dankbar, wenn ich aus dem Gebet, aus dem Glauben, Kraft schöpfe für das Leben.

Das hat bestimmt jeder/jede anders erlebt und kann etwas anderes erzählen.

Ich freue mich über jedes Gespräch.

Wir gehören noch zu den Zeitzeugen.

Anna Ramsauer
August 2021

 

2. Mein Geburtsort Großau/Cristian, Kreis Hermannstadt/Sibiu in Siebenbürgen, Rumänien

 

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Diese vier Fotos, welche Großau zeigen, wurden 1999 vom Kirchturm fotografiert.

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Oben links ist die Schule und im Hintergrund die Karpaten. Oben rechts der Fluss Zibin. Das große Gebäude zwischen den Häusern ist das Kulturheim. Unten links ganz im Vordergrund der Pfarrhof. Weiter hinten die Kirchgasse mit ihren Häusern. Unten rechts gut erkennbar die Häuser mit ihren hohen Toren, Scheunen und Gärten. Die Hügellandschaft, im Hintergrund gut zu sehen auf dem oberen rechten Foto und den beiden unteren, das waren viele Jahre Weinberge.

Die meisten Häuser im Dorf haben nicht viele Wohnstuben. Mich hat das nie gestört. Wir waren alle sehr viel draußen, wenn das Wetter es erlaubte. Wir freuen uns auch heute noch riesig, wenn wir uns mit der Familie treffen und Zeit miteinander verbringen. Es hat uns auf keinen Fall geschadet.

Typisch für die siebenbürgischen Höfe sind neben den Wohnstuben die Sommerküchen. Sobald es im Frühjahr wärmer wurde, haben wir in der Sommerküche gekocht und gegessen. Gemüse, Obst und Marmelade wurde für den Winter auch in der Sommerküche eingekocht. Unsere Mutter hat jeden Herbst große Mengen für uns eingekocht. Alles auf einem Holzofen, einem „Vesta Ofen“. In einer großen Pfanne, gefühlt einen Meter Durchmesser, wurde die Marmelade sehr lange gekocht, z.B. die Zwetschgenmarmelade zwei bis drei Stunden lang. In dieser Zeit durfte das Feuer nicht ausgehen, aber auch nicht zu stark brennen. Damit die Marmelade nicht anbrennt, haben wir öfter mit einem großen Holzlöffel gerührt. Wir haben es gerne gemacht, denn der Winter war lang. In manchen Sommerküchen stand eine Betttruhe. Wir konnten darauf sitzen, und wenn wir müde waren, konnten wir uns in der Betttruhe ausruhen. Es gab sogar einen herausziehbaren Teil - Herrlich!

Wichtig waren die Lagerplätze für Lebensmittel - Speisekammer, Dachboden, Keller. Diese Bauweise stammte von unseren Vorfahren, die sehr viel Erfahrung mit Landwirtschaft hatten und mit der Lagerung von Lebensmitteln. Dadurch, dass wir in der Diktatur überwiegend Selbstversorger waren, hatten wir großes Glück mit diesem Erbe.

In der Speisekammer bzw. dem Abstellraum, hatten wir Regale für Marmelade, Fett, saure eingelegte Gurken, Paprika und vieles mehr. Auf dem Dachboden standen oft große Truhen für Getreide und Mehl. Die geräucherten Würste und geräucherten Schinken konnten wir im Winter auf dem Dachboden an der frischen Luft trocknen lassen. Der Gewölbekeller ist gut geeignet um zum Beispiel Kartoffeln, Äpfel, Wein zu lagern.

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In jedem Hof stand ein Brunnen. Alle Großauer nutzten früher das Grundwasser. Wir schöpften das Wasser direkt aus unserem Brunnen. Mit einem Eimer holten wir das Wasser aus einer Tiefe von zwei bis vier Metern. In den 80-er Jahren, wahrscheinlich auch früher, gab es auch Wasserleitungen in manchen Häusern. Dafür wurde direkt im Brunnen eine Wasserpumpe installiert. Diese beförderte das Wasser bis ins Haus. Über Abflussrohre konnte das Abwasser wieder raus, meistens bis ganz weit hinten in den Hof. Sickerbrunnen fingen es auf.

Ein Trog für die Tiere war in vielen Höfen direkt neben dem Brunnen. Daraus haben die Kühe und Pferde Wasser getrunken.

Die Höfe sind in Großau in einen Vorderhof und einen Hinterhof unterteilt. Unser Vater hat dafür ein schönes eisernes Tor geschmiedet. So können die Tiere nicht aus dem hinteren Hof in den vorderen Hof. Wir Kinder entdeckten auch da eine Möglichkeit zum Spielen. Obwohl es für uns eine Türe zum Durchgehen gab, war das große Tor viel interessanter. Wir öffneten das Tor nur einen kleinen Spalt, schubsten es mit dem Fuß an, sprangen auf das Tor und es öffnet sich schwungvoll - Akrobaten halt. Meine Schwester hat mir erzählt, sie haben es sogar geschafft, dass das Tor umgefallen ist.

Im vorderen Hof waren viele Blumen. Im Frühjahr blühten Tulpen, Vergissmeinnicht und Narzissen. Rosen, Zinnien und Dahlien blühten im Sommer bis Herbst. Und ganz spät im Herbst erfreuten wir uns an den Astern.

Unser Vater hat uns eine eiserne stabile Schaukel gemacht. Da haben wir alle sehr gerne geschaukelt. Kinder und Erwachsene.

Eine Räucherkammer und ein „Bechkessel“ (ein großer Siedekessel) sind meistens vorhanden in den siebenbürgischen Höfen. Unseren hat unser Großvater mütterlicherseits für uns gemauert. Er war Maurer von Beruf. In der Räucherkammer konnten wir die Würste und den Schinken im Winter räuchern. Der Bechkessel wurde ganzjährlich genutzt. Da wurden Kartoffeln in großen Mengen für die Schweine gekocht, an den Waschtagen das Wasser zum Waschen heiß gemacht und Seife gekocht.

Viele hatten einen Backofen, da haben die Frauen sehr gutes Kartoffelbrot, Hanklich und vieles mehr gebacken. Diese Tradition vom Brotbacken wurde von Generation zu Generation weitergegeben.

Im hinteren Hof standen Schuppen mit Holz und Sägespänen.

Für die Schweine und Hühner gab´s einen Stall. Viele hatten auch eine Kuh, manche ein Pferd oder Hund und Katze. Im Hinterhof hatten die Tiere Auslauf. Soweit ich mich erinnern kann, waren Katzen und Hunde nie in den Wohnstuben. Die hatten ihren Platz draußen. Die Hunde hatten ihre Hundehütte und bewachten Haus und Hof. Wenn jemand den Hof betrat, der nicht zur Familie gehörte, bellten sie erst. Die Katzen konnten nachts und wenn es regnete oder schneite, in die Scheune oder in den Stall gehen.

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Die Scheune war als Lagerraum gedacht für Heu, Werkzeug und Geräte. Außerdem war sie für uns Kinder zum Spielen sehr beliebt. Luxus war das Heu in der Scheune, da konnte man gut entspannen, der Duft ist herrlich. Vor allem wenn es draußen regnete, war es im Heu noch schöner. In den Gärten nutzten wir jedes Plätzchen zum Anbauen. Viele Menschen hatten in Großau im Hof Weinreben. Es gab sehr viel zu tun, aber wir hatten zu essen und ich denke wir waren bodenständig. Ein gutes Miteinander erleichterte jede Arbeit.

Die Garten- und Feldarbeit habe ich schon als Kind kennen gelernt. Ich hatte das Glück, dass ich auch als Erwachsene nie die ganze Verantwortung hatte, was gemacht werden soll oder sogar muss, damit es auch wächst. Dankbarkeit und Demut können wir beim Anbauen und Ernten lernen, denn wir tun was wir können, aber damit es auch wächst und gedeiht, liegt nicht in unserer Hand. Gott sei Dank für alles Gute das uns gelingt und geschenkt wird. Ich habe sehr gerne im Garten, auf dem Feld und in den Weinbergen gearbeitet und hoffe, ein bisschen von dieser Freude weitergeben zu können.

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3. Die Vielfalt der siebenbürgischen Küche und unsere Lebensmittelquellen bis zu unserer Ausreise nach Deutschland 1990

In Siebenbürgen haben wir schon immer MULTIKULTI gelebt. In unserem Dorf Großau leben Menschen die rumänisch, siebenbürgisch sächsisch, landlerisch, ungarisch gesprochen haben und noch sprechen. Heute spricht die Mehrzahl der Großauer rumänisch. Auch wenn ich schon 30 Jahre in Deutschland lebe, fühle ich mich mit den Menschen aus Rumänien verbunden. Ich bin sehr dankbar, dass ich in Rumänien leben durfte und jetzt in Deutschland leben darf. Für mich ist das eine große Bereicherung, möchte keine Zeit missen. Meine ganz persönliche Erfahrung in Rumänien - es war ein gutes Miteinander. Wir haben das große Glück, dass wir auch heute noch in Verbindung sind mit unseren Nachbarn aus Großau und unseren Freunden aus Hermannstadt/Sibiu. Auf unserem Elternhof sind wir immer willkommen. Bei unserem ersten Besuch in Großau 1992, haben wir eine Tüte mit Kartoffeln aus unserem Garten geschenkt bekommen. Die hätte ich nicht einmal für Goldklumpen, so groß wie die Kartoffeln, getauscht. Einfach unbezahlbar. Wir respektieren unsere Traditionen, Sprachen, das religiöse Leben, unsere Feste. Wir haben voneinander gelernt, dementsprechend ist auch das siebenbürgische Essen vielfältig. Ich schätze diese Vielfalt sehr. Z.B. Mici und die Ciorba sind rumänische Spezialitäten. Kaiserschmarrn kennt man auch in Österreich. Gulasch kocht man auch in Ungarn ...

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In Rumänien waren wir bis 1990 überwiegend Selbstversorger. Die meisten Leute in den Dörfern, manche auch in der Stadt, hatten einen Garten, es gab große Felder und Weinberge.

Oft war es harte Arbeit bis das Essen auf dem Tisch stand, aber auch eine unbezahlbare Zufriedenheit, wenn das Essen gut schmeckte. In den 80-er Jahren vermissten wir die Bananen, Orangen, Schokolade, Kaffee. Im Geschäft waren die Grundnahrungsmittel wie Brot, Zucker, Mehl und Öl, keine Selbstverständlichkeit, obwohl im Land viel angebaut wurde. Fleisch und Käse gab es selten im Geschäft. Guten Käse und Fleisch kauften wir von den Hirten aus Großau. Von unseren Hühnern hatten wir frische Eier. Vor Weihnachten schlachteten wir ein Schwein, das unsere Eltern mit viel Mühe, aber auch mit viel Liebe, jeden Tag gefüttert hatten. Die Menschen hatten viel Erfahrung, wie alles gut verwertet werden konnte. In den letzten Jahren der Diktatur wurde den Menschen in Rumänien genau vorgeschrieben, wie viele Grundnahrungsmittel sie kaufen konnten. Wir besaßen eine Brotkarte, ein viertel Brot gab es für jeden pro Tag. Eine dreiköpfige Familie konnte pro Tag ein dreiviertel Brot kaufen. Dafür standen wir manchmal bis zu zwei Stunden an. Es kam sogar vor, dass vor unserer Nase das Brot ausverkauft war. Manchmal gab es noch Brot vom Vortag zuhause oder wir aßen Palukes (Maisbrei), Griesbrei, Kartoffeln, Pfannkuchen. Wir wurden, Gott sei Dank, immer satt. Unvergesslich, das selbstgebackene Brot aus dem großen Backofen, da waren unsere Mütter und Großmütter Spezialistinnen dafür. Dieses Wissen wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Besonders vor den Feiertagen und zu jeder Hochzeit, backten die Großauer selber Brot, Hanklich, Nußstriezel /Nußpunkel.

Mehl, Zucker, Öl gab es auch portionsweise mit den Lebensmittelkarten. Diese Lebensmittel wurden für einen Monat genau abgewogen, portioniert. Wir mussten unsere Lebensmittelkarte beim Einkaufen dabeihaben und die Verkäuferin bestätigte dann, dass wir unsere Portion für den Monat gekauft hatten. Beim Brot wurde täglich ein Häkchen gemacht. Unvorstellbar was für Schikanen, denn in der Stadt im Intershop, konnten Besucher aus dem Ausland mit Mark oder Dollar die rumänischen Lebensmittel kaufen. Natürlich ohne Lebensmittelkarte. Wir wussten das, konnten es aber nicht ändern.

Als wir noch Kinder waren, hatten unsere Großeltern eine Kuh, damit wir täglich frische Milch trinken konnten. Wir halfen dafür auf den Wiesen beim „Heu machen" und bei der Feldarbeit. „Kommt Kinder, wir sollen Großmutter helfen", sagte unsere Mutter. Heute lächelt unsere Mutter bei diesen Erinnerungen und sagt: „Unsere Großmutter hat uns geholfen damals, nicht wir ihr.

Butter gab es in den 80-er Jahren nicht zu kaufen in Großau, nur in der Stadt. Da wir die Milch von Großmutters Kuh gleich frisch tranken, konnte sich auch keinen Rahm absetzen, aus der Butter gemacht wird. Wenn wir Butter brauchten, z.B. für große Feste zum Backen, fuhren wir mitten in der Nacht nach Hermannstadt und standen in der Schlange, bis das Geschäft um 6 Uhr öffnete. Tagsüber war die Butter ausverkauft.

Meine Schwester ist viel jünger als ich, war äußerlich schon immer zierlicher als ich, aber im Organisieren `Oho`, viel ´descurcäretiger´= sie konnte sich besser durchsetzen. Bis ich ein Stück Butter hatte, hatte sie mindestens zwei. Sie schaute sich die Leute an die vor uns standen, wer ihr gutmütig erschien, zu der Person stellte sie sich schon mal daneben an. Wenn´s los ging und sie da vorne ein Stück gekauft hatte, kam sie wieder zu mir in die Schlange und konnte dann ihr zweites Stück Butter kaufen. Da sie noch ein Kind war, haben die Leute es auch akzeptiert. Heute unvorstellbar, was für Strapazen für ein Stück Butter. Kinder und Alte standen nachts auf, um morgens um 6 Uhr ein Stück Butter zu kaufen. Heute schwer nachvollziehbar für Menschen, die diese Erlebnisse nicht hatten. Und wir waren dabei sogar ganz glücklich, wenn wir anschließend mit Butter heimkamen. Danach gingen wir zur Schule, der Unterricht war von Montag bis Samstag.

Wenn wir damals auch tagsüber an einer Schlange vorbeikamen, egal in der Stadt oder in Großau, stellten wir uns an und erfuhren manchmal erst danach, was es eigentlich zu kaufen gab. Als mein Kind erst drei oder vier Jahre alt war, stand ich Schlange beim "Pufarin" in Hermannstadt. Leider war es ausverkauft, bevor ich an der Reihe war. Ich war so enttäuscht, weil ich ihr kein Pufarin aus der Stadt mitbringen konnte. Beliebte Mitbringsel aus der Stadt waren die Kipfel / Hörnchen. Ich denke die gab es dann doch immer. In meiner Schulzeit in Hermannstadt in den 70-er Jahren, war ein Hefeteighörnchen mit Joghurt mein Lieblingsessen in der Pause. Damals war die Versorgung mit Lebensmittel noch besser als in den 80-er Jahren.

Den Markt in Hermannstadt habe ich immer sehr geschätzt. Da verkauften Frauen aus Neppendorf ihre schönen Blumen aus ihren Gärten. Da waren Menschen aus Oltenien mit riesengroßen Bergen Melonen. Die schmecken richtig gut. Gogoschar, Trauben, Zwiebel, Äpfel, Birnen, Heidelbeeren, Vinete, Pilze, Spinat, Tomaten und Gurken gab es von den Bauern, die aus verschiedenen Teilen des Landes anreisten und ihre guten Lebensmittel verkauften. Da waren immer Menschen mit geschnitzten Holzlöffeln, Brettchen und vielem mehr.

Trauben für Wein kauften wir von Winzern, zusätzlich zu denen aus unserem Hof und Garten. Wir machten den Wein selber und lagerten ihn in Holzfässern im Keller.

Für den Winter kochten wir Marmelade, Quitten, Zwetschgen in Gläser ein. Große Mengen an Gurken, Kraut und Gogoschar wurden bei uns eingelegt. Im Keller lagerten wir Kartoffeln und Gemüse. Apfelbetten gab es für die Äpfel und Birnen. Das sind große Regale im Keller, in denen jeder Apfel einzeln, einer neben dem andern gelagert wurde. Manchmal auch zweischichtig. Aber ganz wichtig, es musste übersichtlich sein, um die rauszunehmen die anfingen zu faulen. Wenn die faule Stelle noch klein war, haben wir die einfach weggeschnitten und der Apfel konnte noch gegessen werden.

Ich durfte schon als junges Mädchen selbst kochen.

Zwei Anekdoten habe ich noch gut in Erinnerung: Mein erstes Kartoffelpüree. Die Kartoffeln waren weichgekocht, das hatte ich schon gut gemacht, aber ich schüttete das Wasser nicht weg und pürierte sie mit dem Wasser. Oh, wir konnten den Püree mit dem Löffel essen oder sogar trinken.

Mein Versuch Nudeln mit Käse zu kochen. Wir hatten einen sehr guten Käse. Als meine Eltern nicht da waren, briet ich die ungekochten Nudeln gleich in der Pfanne. Komisch, dachte ich, die werden nicht weich. Ich streute den guten Käse drüber, in der Hoffnung, dass sie diesmal weich werden. Ohne Erfolg! Unser Schwein hat sich bestimmt gefreut. Danach wusste ich es, Nudeln werden immer erst gekocht. Die Schule des Lebens hat viele Fächer.

Gut in Erinnerung ist mir geblieben, was es jahreszeitlich zu essen gibt. Im Frühjahr ging es los mit grünem Salat aus dem Garten, mit Knoblauchblättern gewürzt. Bald gab es Erdbeeren, Himbeeren, Johannisbeeren. Im Sommer freuten wir uns auf die ersten Trauben aus den Weinbergen. In unserem Garten reiften verschiedene Sorten Pflaumen, Sauerkirschen, Spinat, Zwiebel, Tomaten, Gurken, Kräuter: Dill, Bertram, Petersilie, Sellerie.

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Im Herbst ernteten wir ganz viele Kartoffeln, die in unserem Gewölbekeller direkt auf der Erde gelagert wurden. Über Äpfel, Trauben, Birnen freuten wir uns auch im Herbst. Auf dem Feld reiften Kartoffel, Rüben, Mais, weiße Bohnen. Mais, weiße Bohnen und Kürbisse wurden meistens zusammen angebaut. Ganz sinnvoll, denn die aufziehenden Bohnen, haben Halt am Mais, die Kürbisse bedecken den Boden und sorgen gleichzeitig dafür, dass der Boden nicht so schnell austrocknet. Mais wurde vielfältig verwendet. Der noch milchige Mais schmeckt gekocht sehr gut. Reife Maiskörner werden zu Maismehl gemahlen und daraus wird Maisbrei gekocht. Maisbrei haben wir als Kinder oft gegessen, mit Milch oder ´Käs-Palucks`. Der reife Mais wurde als Körner oder gemahlen auch an die Tiere verfüttert. Mit den weißen Bohnen haben wir "geriebene Bohnen" gekocht oder Bohnensuppe.

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Meine Schwiegermutter kochte oft einen großen Topf mit weißer Bohnensuppe. Erst aßen wir die Suppe und am nächsten Tag gab es geriebene Bohnen - Lecker. Alles wurde auf einem Holzofen oder auf einem Gasofen gekocht, noch früh am Morgen, bevor sie auf das Feld zum Arbeiten ging.

Es gab gute Esskürbisse, die man im Ofen backen konnte und gute Kürbisse als Futter für die Tiere. Nur aus Einzelnen schnitzten wir eine Laterne.

Aus dem was wir hatten, machten wir das Beste daraus.

Für Menschen, die in Städten lebten und keinen Garten hatte, war es sehr schwer. Jeder suchte nach Quellen, um gut essen zu können. Ich kenne persönlich Menschen die in der Stadt wohnten und dort keinen Garten hatten. Meine Bekannten bekamen oft Unterstützung von ihren Verwandten, die in einem Dorf lebten. Von ihnen bekamen sie Eier, Milch, Mehl, Kartoffeln, Fleisch, selbstgebackenes Brot und Striezel. Die Menschen vom Dorf brachten die Lebensmittel selbst mit oder schickten sie einfach mit Pendlern mit dem Bus zu ihren Angehörigen in die Stadt. Auf dem Dorf wurde bei der Feldarbeit beim Anbauen, Hacken und Ernten, viel Unterstützung gebraucht und da halfen die `Städter´ dann mit. Alles war überwiegend Handarbeit. Nur in solchen Gemeinschaften konnte das Leben gut gelingen.

Hier in Deutschland freue ich mich auch über jede gute Gemeinschaft und auch über jedes Obst, Gemüse, Kräuter und Blumen aus dem Garten.

Mit MULTIKULTI geht es auch hier grad so weiter. Ich empfinde es als große Bereicherung. Z.B.:

  • "Handkäs mit Musik" ist kahlgründerisch.
  • "Braten mit Klößen und Rotkohl"
  • "Maultaschen" sind schwäbisch.
  • "Pizza" ist italienisch.
  • "Döner" ist türkisch.
  • "Gyros" ist griechisch.
  • "Paella" ist spanisch.

Mein Wunsch ist, dass wir immer dankbar bleiben für unser Essen. Und die Möglichkeit haben, in Gemeinschaft mit anderen Menschen zusammen zu essen, gerne teilen. Das bedeutet für mich Reichtum. Freue mich über Ergänzungen von euch, über eure Erinnerungen und über eure Erfahrungen.

 

4. Großauer Kirchenburg

Die Kirche, die Kirchenburg und das Pfarrhaus mit Pfarrhof spielten und spielen auch heute noch eine sehr große Rolle in unserem Gemeindeleben.

Hier kamen wir oft zusammen, um Gottesdienste zu feiern, für den Konfirmandenunterricht und zu vielen weiteren Anlässen.

Bis zu der großen Ausreisewelle im Jahr 1990 gab es viele Taufen, Konfirmationen und Hochzeiten in der Kirche und der Kirchenburg.

Auch Besucher hatten und haben auch heute noch großes Interesse an der Kirchenburg.

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Das Original von diesem Bild hat der Schwester meiner Oma gehört. Nachdem sie geheiratet hat, ist sie in ein Nachbardorf gezogen. Dieses Bild hat sie mitgenommen, auch nach Deutschland bei ihrer Ausreise. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Bild ihr viel bedeutet hat.

 

Ehrendenkmal

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Den Großauern war es sehr wichtig alle Menschen, die im ersten und im zweiten Weltkrieg sowie alle Verstorbenen während der Deportation nach Russland, nicht zu vergessen.

Im Kirchhof steht ein großes Denkmal mit allen Namen. Im ersten Weltkrieg sind leider mein Urgroßvater väterlicherseits, sowie zwei Brüder von ihm verstorben. Ein sehr schweres Schicksal hatte mein Großvater väterlicherseits. 1945 wurde er zusammen mit vielen Menschen nach Russland deportiert.

Während der Deportation ging es allen Betroffenen schlecht. Der russischen Bevölkerung, sowie den Deportierten erst recht. Sie hatten wenig zu Essen und mussten schwer arbeiten. Mein Großvater ist leider dort verstorben. Er wurde in der heutigen Ukraine beerdigt. Bei allen Großauer Treffen wird eine Andacht vor dem Ehrendenkmal gehalten. Sie bleiben in unserer Erinnerung.

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Im August 2021 gab es zu diesem Thema eine Sonderausstellung im Schloss Horneck in Gundelsheim. Dr. Irmgard Sedler hat ein Buch geschrieben mit vielen Erinnerungen und Fotos von Menschen, die in Russland waren. Der Titel heißt „Skoro damoi - Hoffnung und Verzweiflung“ Siebenbürger Sachsen in sowjetischen Arbeitslagern 1945-1949.

 

5. Die Arbeit unserer Mutter als Burghüterin 1969- 1974 und unser Dazugehörigkeitsgefühl bis heute!

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Unsere Mutter Anna Elise Wiserner, geb. Zeck, war Burghüterin in der Kirchenburg in Großau von 1969- 1974.

Zu jedem Anlass stieg sie die vielen Treppen hoch in den hohen Turm und läutete. Damals musste sie noch am Seil ziehen, so kam die Glocke in Bewegung und erklang wunderschön. Die Automatik zum Läuten der Glocken kam viel später nach Großau.

Für Sie und alle Erwachsenen, die mitgeholfen haben, war die Pflege der Kirche und der Kirchenburg eine große Aufgabe, verbunden mit sehr viel Arbeit. Für uns Kinder war es schön. Wir haben uns immer dazugehörig und frei gefühlt. Herrlich, so viel Freiheit in einem Land, wo sich die Menschen oft nach Freiheit gesehnt haben.

Die Aufgaben der Burghüterin waren sehr umfangreich. Vor den Gottesdiensten wurden unter anderem die Kirche und der Burghof gekehrt, die Lieder und Psalmen an die Liedertafel gesteckt, frische Blumen auf den Altar gestellt, sowie die Kerzen am Altar entzündet. Außerdem wurden, passend zu der jeder Zeit im Kirchenjahr, die verschiedenen Paramente (bestickte Tücher) am Altar, der Kanzel, dem Taufstein und den Plätzen des Pfarrers und des Presbyters aufgehängt bzw. ausgetauscht. An Abendmahlgottesdiensten bereitete unsere Mutter zudem die Kelche und das von ihr selbstgebackene „Himmelsbrot“ am Altar vor.

Bei vielen dieser Aufgaben durften wir Kinder und die Konfirmanden unterstützen.

Vor jedem Gottesdienst wurden die Glocken 15 Minuten lang geläutet. Nach den Worten unserer Mutter - „So lange, dass jeder aus dem Dorf, egal wo er wohnte, von Zuhause bis in die Kirche kommen kann“. Es ist faszinierend, dass das ganze Dorf diesen schönen Glockenklang hören konnte. Das Glockenläuten kann uns innerlich ruhig werden lassen, demütig. Diese Harmonie zwischen körperlichem Einsatz beim Läuten und dem Klang der Glocke, herrlich. Eine Anekdote hierzu - unsere Patentante wollte unserer Mutter einmal beim Läuten helfen, hatte es aber davor noch nie geübt. Sie zog am Seil, aber rhythmische Bewegungen kamen nicht zustande. Dieser schöne Klang wollte nicht gelingen. „Ich schäme mich so, was sollen die Leute im Dorf denken“, hat sie zu unserer Mutter gesagt. Heute können wir darüber lachen, aber ihr war es damals nicht recht.

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Damit während des Gottesdienstes die Orgel spielen konnte, musste die Burghüterin den Blasebalg drücken. Hierbei handelte es sich um eine Art große Ziehharmonika, welche hinter der Orgel, in dem Raum zwischen der Kirche und den Treppen des Turmes steht. Mit Hilfe eines großen Brettes, welches man mit den Füßen und dem vollem Körpereinsatz hinunter drückte, wurde der Blasebalg mit Luft gefüllt und die Orgel konnte erklingen. Wenn die Orgel spielte musste ständig dafür gesorgt werden, dass genug Luft im Blasebalg ist. Unsere Tante hatte an einem Sonntag die Aufgabe übernommen und den Blasebalg am Anfang des Gottesdienstes vollgepumpt mit Luft. Anschließend setzte Sie sich in die Kirche um am Gottesdienst teilzunehmen. Nach einer kurzen Zeit gab die Orgel keinen Ton mehr her, die Luft war raus.

Jedes Jahr vor Pfingsten stand in der Kirche, auf dem Turm und im Burghof ein Großputz an. Dabei halfen die Leute aus dem Dorf mit. Nach einem strengen Plan wurden abwechselnd alle Nachbarschaften zum Dienst eingeteilt. Mehrere Männer fegten am Sonntagnachmittag in der Kirche alle Spinnweben weg. Am Folgetag kamen viele Frauen und schrubbten den Boden in der Kirche. Auch der Kirchturm wurde jedes Jahr gründlich geputzt.

Es war auf jeden Fall eine starke Gemeinschaft.

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Zu den Aufgaben der Burghüterin gehörte außerdem den Besuchern die Kirche, den Turm, die Kirchenburg zu zeigen. Diese Führungen haben uns Kindern gut gefallen, da wir jede Ecke der Kirchenburg kannten. Es kamen interessierte Besucher aus vielen Ländern, unter anderem Ost- und Westdeutschland, aus Österreich und sogar aus Amerika. Wir haben als Belohnung oft Süßigkeiten von den Gästen bekommen, manche haben uns fotografiert und uns die Bilder geschickt. Wir sind sehr dankbar dafür. Die Süßigkeiten sind weg, die haben uns geschmeckt. Die Bilder haben wir jedoch noch.

Neben den regulären Gottesdiensten am Sonntag wurden natürlich christliche Feiertage und diverse Anlässe besonders gefeiert.

Die Abendmahlsgottesdienste waren vier Mal im Jahr, jeweils an zwei aufeinander folgenden Sonntagen. Ein Sonntag war für die sächsischen Gemeindemitglieder gedacht, der andere für die landlerischen Gemeindemitglieder. Aufgrund der Vielzahl der Besucher beim Abendmahl, war das damals ganz normal.

In unserer Familie redeten wir Siebenbürgisch Sächsisch miteinander, wir gehörten zu den Sachsen. Erst 2013 erfuhren wir, dass unsere Vorfahren väterlicherseits aus Österreich nach Siebenbürgen kamen. Ein Teil unserer Vorfahren waren also Landler. Das hatte sich für mich schon immer rund angefühlt, jetzt hatte sich der Kreis geschlossen.

Die Kindergottesdienste waren immer am Sonntag, 1 Uhr mittags. Wir Kinder gingen sehr gerne hin, wir haben uns in dieser Gemeinschaft immer dazugehörig gefühlt. Wenn wir ein Lied oder Strophen als Hausaufgabe auswendig gelernt hatten, bekamen wir als Belohnung von unserem Pfarrer ein Fleißkärtchen, was uns zum Lernen motivierte.

Das Erntedankfest war immer ganz besonders festlich. Da wir alle selbst in unseren Gärten und auf den Felder viel anbauten, war unsere Wertschätzung sehr groß für alles was wir ernteten. Das kam an diesem Sonntag im Gottesdienst deutlich zur Geltung. Am Samstag vor dem Erntedankgottesdienst wurde die Kirche reich geschmückt. Auf dem Altar waren Brot und Trauben, ganz viel Obst und Blumen. Neben dem Altar lagen unter anderem Kartoffeln, Mais und Zwiebel. Sogar an der Kanzel und am Predigerstuhl hingen Äpfel, Birnen, Trauben.

Der Reformationstag am 31. Oktober wurde, obwohl es offiziell keinen christlichen Feiertag gab, immer mit einem Gottesdienst in der Kirche gefeiert und dabei das Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ gesungen.

Der Gottesdienst an Heilig Abend mit der Bescherung und der Frühgottesdienst am ersten Weihnachtstag mit dem Leuchtersingen um 7 Uhr, sind uns in guter Erinnerung geblieben. An Heilig Abend waren sowohl alle Sitzplätze, als auch die Stehplätze in der großen Kirche besetzt. Für den Frühgottesdienst schmückten junge Burschen vier Leuchter und übten das Leuchterlied „Tag der Freude, Tag der Wonne...“, welches sie im Wechsel sangen.

Zu den Anlässen wie Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen wurden jeweils verschiedene Glocken, unterschiedlich lang geläutet. Zu den Taufen erklang lediglich die kleine Glocke mit einem feinen, zarten Ton.

An Hochzeiten wurde mit der großen Glocke geläutet. Tradition war, dass die Burghüterin für die Vorbereitungen und das Läuten ein frisch gebackenes Kartoffelbrot aus dem Holzbackofen und Wein bekam. Bei Beerdigungen wurde dreimal für jeweils 15 Minuten mit entsprechenden Zeitabschnitten dazwischen mit der mittleren Glocke geläutet. Beim „Pulsläuten“ wurde signalisiert, in welchen Zeitabschnitten bzw. nach welchem „Puls“ sich enge Familienmitglieder, Verwandte oder die Nachbarschaft im Haus des Verstorbenen einfinden sollten. Tradition war, dass nach dem letzten „Puls“ die Männer aus der Nachbarschaft des Verstorbenen das Läuten mit der großen Glocke übernahmen. Geläutet wurde so lange, bis die Angehörigen mit dem Verstorbenen von dessen Zuhause auf dem Friedhof ankamen.

Jeden Abend läutete unsere Mutter „Dä Owendglock“- die Abendglocke. Unterstützt wurde sie dabei von unserem Vater und von ihrem Bruder. Auch junge Burschen wollten oft läuten und unsere Mutter hat es Ihnen erlaubt. Alle die läuteten, brauchten sehr viel Feingefühl, um einen rhythmischen Klang zu erzeugen. Wir Kinder durften oft mitgehen und haben zusammen mit unserer Mutter geläutet. Sie zog ganz rhythmisch an dem Seil und wir durfte auch anpacken und mit den Bewegungen mitgehen. Um selbstständig zu läuten waren wir noch zu klein.

Ich bin in Großau in alle Gottesdienste gerne gegangen und feiere auch heute in Deutschland gerne in den Gottesdiensten mit. Diese Gemeinschaft, gemeinsam singen, gemeinsam beten, hat mich sehr geprägt. Die Predigten – Auslegungen der Heiligen Schrift und alltagsbezogene Erzählungen, Gedanken für die heutige Zeit, welche die Lesung verständlicher machen, geben mir viel Kraft und helfen mir im Alltag. Ein starkes Dazugehörigkeitsgefühl ist geblieben.

Uns Siebenbürgern waren viele Bibelstellen und viele Lieder im Gottesdienst hier in Deutschland von Anfang an gut bekannt. Es tut gut Vertrautes zu hören. Es war und ist immer noch ein Stück Heimat. Ich bin allen dankbar, die mich und alle Menschen willkommen heißen. Herzlichen Dank dafür an dieser Stelle. Habe sehr viel Zuwendung in meinem Leben erfahren. Ich hoffe und bete darum, viel davon weitergeben zu können, als Mesnerin und in meinem privaten Umfeld.

Mit unserer Mutter, der ehemaligen Burghüterin, haben wir gemeinsam mit meinen Geschwistern diese Erinnerungen aufleben lassen und aufgeschrieben.

 

6. Taufen in Großau

Dieser Zuspruch für ´s Leben steht auf dem grünen Parament an unserem Taufstein in Großau.

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Unter dem großen Deckel vom Taufstein ist ein Taufbecken. In diesem Taufbecken befindet sich eine Taufschale für das Taufwasser. In Großau wurden alle Kinder sehr früh getauft, soweit ich mich erinnern kann. Sobald ein Kind auf die Welt kam, war die Taufe gleich ein Thema. Bis zu unserer Ausreise 1990 wurden die Kinder mit ca. 6 Wochen getauft. Ausnahmen gab es, wenn das Kind oder die Mutter krank waren. Uns war es sehr wichtig unser Kind so bald wie möglich taufen zu lassen. Es war uns ein Bedürfnis und nicht, weil es so erwartet wurde oder weil es ein Brauch war. Zu der Zeit war das „normal“, dass die Kinder mehrere Paten und Goden haben.

Die Taufe war als eigenständiger Taufgottesdienst, nach dem großen Sonntagsgottesdienst. Die kleine Glocke läutete feierlich und wir gingen zu zweit aufgestellt in die Kirche.

Der Täufling wurde von einer Gode zur Taufe getragen. Während der Taufe hielt die Mutter das Kind im Arm und der Pfarrer taufte es im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Nach dem Segen gingen wir wieder zu zweit aufgestellt nach Hause. Der Täufling wurde wieder von einer Gode getragen. Nach der Taufe gab es ein schönes, gemütliches Fest daheim, mit gutem Essen und lieben Menschen.

Ich kann mich gut erinnern, nach der Taufe unseres Kindes habe ich mich erleichtert gefühlt. Da war es und es ist immer noch, dieses große Vertrauen, wir müssen und können nicht alles alleine machen im Leben. Da ist eine starke Kraft die uns hilft. Ich glaube an diese große Quelle der Liebe, die uns Jesus vorgelebt hat mit Worten und Taten. Jesus hat seine Jünger beten gelernt. Das gleiche Gebet „Vater unser“ können wir heute noch beten, nach 2000 Jahren.

Dieses Vertrauen hat mir schon oft geholfen: „Wir sind Gottes Kinder“ Ich denke, da gibt es noch mehr zu entdecken was uns Menschen durch die Taufe geschenkt wird.

Uns wurde erzählt, dass man früher mit nicht getauften Kindern gar nicht weggegangen ist von zu Hause. In meiner Generation war es lockerer, wir sind schon ganz früh, auch vor der Taufe mit unseren Kindern raus gegangen zu unseren Verwandten und Freunden. So manches ändert sich immer wieder. Aber das Wesentliche bleibt meiner Ansicht nach, und zwar dieses Gefühl, dass es noch mehr gibt, als das was wir sehen können. Und jede Kultur und jeder Mensch hat den eigenen Weg und Ansichten dafür. Da ist unsere Herkunft von Bedeutung, unsere Lebenserfahrungen und bestimmt noch vieles mehr. Ich respektiere das. Hoffe, dass ich im Laufe des Lebens noch viel erfahre, wie auch andere Menschen nach Kraftquellen suchen und da Halt finden.

 

7. Konfirmation in Großau

Der Konfirmandenunterricht und die Konfirmation in Großau waren so gefestigt in der Tradition zu meiner Zeit in den 70-er Jahren, dass ich nie überlegen musste, ob ich hin gehe oder nicht. Das war für mich ganz selbstverständlich, ich denke für die meisten von uns auch. Dieses Dazugehörigkeitsgefühl möchte ich auch nicht missen.

Ich schreibe diese Erinnerungen, ohne zu werten wie es besser ist, ob man gefragt wird oder nicht, ob jemand konfirmiert wird oder nicht.

Mir war dieser Religionsunterricht ganz wichtig. Damals in der Diktatur hatten wir keinen Religionsunterricht in der Schule. Obwohl wir von Montag bis Samstag Unterricht in der Schule hatten, freute ich mich auf den Religionsunterricht am Samstagnachmittag am Pfarrhof. Da gab es ganz andere Themen als in der Schule.

Wir wohnten alle in einem Dorf, also konnten wir mit dem Fahrrad hinfahren oder hinlaufen, ohne dass uns jemand hinbringen musste. Unser Pfarrer Weingärtner konnte wunderbar die Geschichten vom Leben Jesu erzählen und viele andere Geschichten aus der Bibel. Wir lernten die Bedeutung der christlichen Feste kennen. Das Kirchenjahr, und zwar jeden Sonntag mit lateinischem und deutschem Namen lernten wir auswendig. Die Zehn Gebote lernten wir mit „Luther erklärt“. Sozusagen den ganzen kleinen Katechismus kannten wir auswendig. Das Glaubensbekenntnis kenne ich auch aus dieser Zeit. Vieles kannten wir schon von daheim und aus den Kindergottesdiensten, z.B. das Gebet „Vater unser“ und Tischgebete. Viele Lieder waren uns aus den Kindergottesdiensten und den großen Gottesdiensten vertraut. Manche Liedtexte kannten wir auswendig vom „Aufsagen an Weihnachten und Neujahr“ in der Familie.

Ab der 6-ten Klasse bis zur 8-ten Klasse, hatten wir jeden Samstagnachmittag, eine Stunde Religionsunterricht mit unserem Pfarrer Weingärtner im Pfarrhaus und manchmal auch im Pfarrhof. Außer in den Ferien.

Das Pfarrhaus in Großau ist ein schönes, großes Gebäude, mit einer breiten Treppe, einer großen Eingangshalle. Zusätzlich zu den Räumen für die Pfarrersfamilie, gibt es noch Räume in denen unser Konfirmandenunterricht war, wo der Chor probte, Bibelstunden fanden da statt, Büro u.v.m.

Die Konfirmation wurde in Großau am Sonntag „Rogate“ gefeiert. Meine Konfirmation habe ich im Mai 1977 gefeiert. Nach dieser intensiven Vorbereitung freuten wir uns darauf. Wir wussten, nach der Konfirmation sind wir Jugendliche. (Na, wenn das nicht ein großer Schritt in diesem Alter ist!) Am Samstagnachmittag vor der Konfirmation, gab es erst ganz wichtige Schritte zu tun. „Um Verzeihung bitten“: wir Konfirmanden gingen alle zu unseren Eltern, Geschwistern, Großeltern, Paten und Goden. Wir reichten ihnen die Hand und sagten: „Bitte verzeihe mir, wenn ich dich mit einem Wort oder mit etwas anderem beleidigt habe.“ Sie antworteten: „Von Herzen gerne, bitte verzeihe mir auch.“ Und wir antworteten: „Von Herzen gern.“

Natürlich gab es dann auch ein Geschenk für uns von allen. Von meinen Eltern habe ich eine wunderschöne Uhr geschenkt bekommen. So etwas hatte ich davor noch nie. Ich denke von allen anderen bekam ich Geld geschenkt. Diese Tradition „um Verzeihung bitten“, war so gefestigt in Großau, wahrscheinlich in ganz Siebenbürgen. Für uns hat es einfach dazugehört, weil unsere Eltern, unsere Familie das so gesagt hatten. Diesen tiefen Sinn dahinter, habe ich im Laufe des Lebens immer besser schätzten gelernt und erlebt, wie gut es ist, wenn wir aufeinander zugehen und um Verzeihung bitten. Dafür bin ich sehr dankbar, das hat mir im Leben schon oft geholfen.

Unsere Prüfung hatten wir am Samstagabend, nachdem wir unsere Familie um Verzeihung gebeten hatten. Die Prüfung war in der großen Kirche, vor der ganzen Gemeinde. Unser Pfarrer stellte uns Fragen und jeder der antwortete, stand auf und sagte ganz laut was er/sie wusste, damit die ganze Gemeinde das auch hörte. Die Kirche war ganz voll, ich denke das Interesse von vielen aus der Gemeinde war sehr groß. Alles was wir im Konfirmandenunterricht gelernt hatten, wurde abgefragt. Das war ziemlich aufregend für uns, denn wir wussten nicht, bei welcher Fragen wir drankamen, um zu antworten. Bei dieser Prüfung kamen immer alle durch, da musste niemand wiederholen. Aber wir wollten uns vor der Gemeinde nicht blamieren.

Die Kleidung für dieses große Fest war auch ganz wichtig. Für den Samstagabend zur Prüfung, hat mir eine Schneiderin aus Großau ein maßgeschneidertes Kostüm genäht. Ein Kostüm hatte ich davor noch nie. Am Sonntag, zur Konfirmation habe ich wie die meisten Mädchen, die schöne siebenbürgisch/sächsische Mädchentracht angezogen. Meine Oma hat mir die Sachen von der Tracht vorbereitet. Das war sehr aufwendig. Das Hemd und die Schürze wurde davor frisch gewaschen, gestärkt und bügelt. Meine neuen Lackschuhe, passend zur Tracht, durfte ich in Hermannstadt nach Maß anfertigen lassen. Der Schuster hat extra meine Füße gemessen und nach diesem Maß die Schuhe für mich gemacht.

Unsere Konfirmation am Sonntag

Zum ersten Mal in unserem Leben durften wir zum Abendmahl gehen. Zum ersten Mal knieten wir vor dem Altar und bekamen ein Stück Himmelbrot = Hostie und einen Schluck Wein zu trinken. Das Abendmahl wurde immer auf eine besondere Art in Großau gefeiert. Vor dem Altar ist eine kleine Empore, wo der Pfarrer immer draufsteht, der Rand ist ringsum mit einem weichen Kissen ausgelegt, worauf die Menschen beim Abendmahl oder zu anderen Anlässen drauf knien können. Soweit der Platz reichte vor dem Altar, knieten die ersten auf dem weichen Kissen, bekamen das Himmelbrot, dann gingen sie um den Altar, warteten hinter dem Altar, in der Zwischenzeit knieten die nächsten vor dem Altar und bekamen ihr Himmelbrot. Danach ging die zweite Reihe um den Altar, blieb hinter dem Altar stehen und die erste Gruppe ging wieder vor den Altar, kniete noch einmal und alle bekamen jetzt ihren Schluck Wein. Danach standen sie auf, blieben erst stehen und wurden vom Pfarrer gesegnet. Jetzt konnten sie zu ihrem Platz zurück gehen und die zweite Gruppe ging weiter um den Altar und kniete zum zweiten Mal, um auch den Schluck Wein zu empfangen. Nachdem sie gesegnet wurden, gingen sie zu ihrem Platz zurück und die nächsten konnten zum Abendmahl gehen.

Mein Konfirmandenspruch lautet: „Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“ (Johannes 15,5)

Die Konfirmation mit dem Konfirmandenunterricht, mein Konfirmandenspruch, davor schon die Kindergottesdienste, bedeuten mir viel in meinem Leben. Umso älter ich werde, empfinde ich das alles als ein Geschenk, ein Stück Heimat. Gott sei Dank habe ich immer noch Möglichkeiten, um mit Menschen Gottesdienst zu feiern, um Abendmahl/Eucharistie zu feiern. Ich kann daraus Kraft schöpfen.

Im Radio und Fernseher gab es bis Ende 1989 in Rumänien kein Wort vom christlichen Glauben zu hören. Keine Predigt, kein christliches Lied, überhaupt kein religiöses Wort. Ende Dezember 1989 kam die Wende. Die Diktatur in Rumänien wurde aufgelöst und wir hörten zum ersten Mal in unserem Leben Weihnachtslieder im Fernseher und Radio. Zu der Zeit war ich schon 26 Jahre alt. Da bin ich heute noch nach vielen Jahren ganz gerührt, wenn ich daran denke. Aus heutiger Sicht, haben vielleicht diese Einschränkungen „im Großen“, unser Gemeinschaftsgefühl „im Kleinen“, gestärkt. Diese innere Freiheit konnte und kann uns kein Mensch nehmen.

 

8. Erinnerungen an Weihnachten in Großau in den 60-er bis 80-er Jahren

Weihnachten war und ist ein wunderbares Fest! Ich freute mich jedes Jahr darauf, das ist heute noch so. Weihnachten, mit der frohen Botschaft von der Nähe Gottes zu uns Menschen, durch seinen eigenen Sohn.

Die Vorbereitungen waren in Großau ganz wichtig. Da wurden die Fenster geputzt, die Vorhänge gewaschen und gebügelt. Schränke „gerückt“ und hinter denen geputzt. Der Dielenboden wurde „gescheuert“, d.h. die Dielen wurden mit einer Scheuerbürste und mit Seife oder einer starken Lauge geschrubbt. Gummihandschuh zum Schutz der Hände gab es damals nicht. Danach wurde der Boden mit viel sauberem Wasser gespült, davon gab´s genug im Brunnen. Und dann mit einem Lappen trockengewischt. Wenn der Boden trocken war, kamen die frisch gewaschenen Teppiche, oder zumindest an der frischen Luft mit dem Teppichklopfer geklopften Teppiche wieder rein.

Der Weihnachtsbaum wurde geschmückt, damals mit selbstgebackenen Keksen, Äpfeln, Nüssen, Wachskerzen, selbstgebastelten Ketten aus buntem Papier und in buntem Papier eingepackte Zuckerstückchen.

Eine schöne Erinnerung für mich aus dieser Zeit – die Äste des Tannenbaums senkten sich beim Schmücken unter dieser Last unserer Leckereien nach unten. Die Position der Äste veränderte sich, wenn wir ein Zuckerstückchen nach dem anderen aus der schönen Folie auspackten und genossen. Die Folie blieb am Tannenbaum, diese konnten wir wieder schön formen, damit man es zumindest von weitem nicht sah. Unseren Eltern rechne ich es hoch an, sie haben uns bei dieser Aktion nie gestoppt. Damals gab es die Süßigkeiten auch nicht in Hülle und Fülle. Eine Besonderheit waren die Orangen. Wenn unsere Eltern vor Weihnachten welche organisieren konnten, dann gaben sie uns diese erst an Weihnachten.

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Der Gottesdienst an Weihnachten hat in meiner Erinnerung ein schönes Plätzchen. Der Gottesdienst begann um 16 Uhr. Alle Sitzplätze in der großen Kirche waren besetzt. Ich denke auch die Stehplätze. Dicke Kleidung war wichtig, denn die Kirche wurde nicht geheizt. Wir wussten das, kannten es nicht anders. Die Kirche wurde nur von den Kerzen des großen Tannenbaums beleuchtet. Es war jedes Mal eine besondere wunderbare Stimmung. Mehrere Konfirmanden lernten jeweils einen Teil des Weihnachtsevangeliums auswendig und konnten so in diesem gedämmten Licht das Evangelium vortragen. Ich denke an jedem Heiligabend wurden die gleichen Lieder gesungen, die wir ohne Gesangbuch mitsingen konnten. Ich erinnere mich an: „Süßer die Glocken nie klingen“, „Oh du fröhliche“, „Ihr Kinderlein kommet“, „Kommet ihr Hirten“ und zum Schluss immer „Stille Nacht, heilige Nacht“.

Heute noch, wenn wir an Heiligabend hier in Deutschland Gottesdienst feiern und bei „Stille Nacht, heilige Nacht“ die Lichter gedämmt werden, dann schließe ich die Augen und bin daheim, hier in Deutschland und in Erinnerung in Großau.

Damals wie heute ist es für mich eine Freude, in Gemeinschaft zu singen, zu beten und die Frohe Botschaft zu hören. Diese Gottesdienste haben mich sehr geprägt. Früher in Großau und heute hier in Deutschland. Überall ein Stückchen Heimat.

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In Großau gab es für uns Kinder schon in der Kirche ein Päckchen an Heiligabend.

Wir gingen alle um den Altar, auf beiden Seiten standen Weidenkörbe voll mit liebevoll gepackten Päckchen. Da waren Äpfel, Nüsse, selbstgebackene Kekse, Süßigkeiten drin. Die vielen Päckchen verdanken wir vielen fleißigen Frauen aus dem Dorf.

Da hatten die Nachbarschaften eine wichtige Aufgabe. In Großau gab es mehrere Nachbarschaften und jedes Jahr gab es ein „Altnachbarn Paar“, ein „Jungnachbarn Paar“, Kellnerinnen und Kellner. Ihre Aufgaben waren genau vorgegeben. Vor Weihnachten gingen die Kellnerinnen und evtl. noch Frauen, die mithelfen wollten, zu allen Familien in der Nachbarschaft und sammelten Zutaten für die Kekse ein. Sie sammelten Mehl, Zucker, Eier. Diese Zutaten brachten sie zur „Altnachbarin“. Da wurden dann die Plätzchen gebacken. Die „Jungnachbarin“, die Kellnerinnen und Freiwillige halfen mit. Ein großer Einsatz war dann das Verzieren dieser Plätzchen.

In der Küche des Pfarrerehepaares und in der großen Eingangshalle des Pfarrhauses standen lange Tafeln mit Keksen. Viele Frauen aus dem Dorf halfen beim Verzieren mit. Ich war auch dabei. Einfach unvergesslich.

Unseren Pfarrersfrauen, Frau Weingärtner und Frau Schullerus verdanken wir das, dass wir in so einer großen Gemeinschaft diese Kekse verzieren konnten. Herzlichen Dank an dieser Stelle. Diese Erinnerungen bleiben, schön war´s.

An einem anderen Tag wurden dann die Päckchen gepackt. Die Pfarrersfrauen, die Kirchenvorsteherinnen und viele Frauen aus der Gemeinde halfen mit. Dieser große Einsatz war auch am Pfarrhof. Ganz wichtig – an das fertig gepackte Päckchen haben die Frauen einen kleinen Tannenzweig dran gebunden. Diese Tradition habe ich beibehalten.

Nach dem Gottesdienst trafen wir uns jedes Jahr bei unserer Oma väterlicherseits. Alle Enkelkinder stellten wir uns der Größe nach in eine Reihe und sagten unser Gedicht auf, das wir extra für Weihnachten auswendig gelernt hatten.

Dann erst bekamen wir unser Geschenk. Damals waren es ganz praktische, warme Sachen, die wir bestimmt auch gebraucht haben. Wie z.B. Socken, Schlafanzug, Unterwäsche, Schals, Mützen. Unsere Oma kochte für alle Tee, ich erinnere mich an Pfefferminz Tee. Zu essen gab es an Heiligabend immer geräucherte Wurst in „Gech“= Sauerkrautsaft gekocht, mit Meerrettich und einem guten Brot. Alle freuten sich darauf, weil es etwas ganz Besonderes war. Für die Hausfrauen war es ganz praktisch. Dieses Essen muss man nicht vorkochen und alle konnten zum Gottesdienst gehen.

Eine Besonderheit war das Läuten an Heilig Abend um 20 Uhr. Gleich danach sang der Chor und die Blasmusikkapelle spielte Weihnachtslieder vom Turm. Die Musiker spielten und sangen die Lieder von jedem der 4 großen Fenster aus, so dass sie im ganzen Dorf gut zu hören waren.

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9. Leuchtersingen am Ersten Weihnachtstag in der Frühkirche

Für das Weihnachtsfest wurden in Großau vier Leuchter geschmückt und in der Kirche aufgestellt. Zwei Leuchter schmückten die sächsischen und zwei ländlerischen Knaben.

Das Gerüst von diesen Leuchtern sind Holzrahmen. Diese werden erst mit Wintergrün gebunden. In der Mitte wird ein „Plakat“ befestigt, mit einem weihnachtlichen Gedanken. „Ehre sei Gott in der Höhe“, und „Die Glocken haben gestern kundgemacht, dass der Heiland geboren in dieser Nacht“. Dann wurden sie mit Fähnchen, Vögelchen und mit Kerzen geschmückt. Die Fähnchen waren aus buntem Papier mit den Initialen der Jugendlichen. Die Vögelchen wurden aus ausgeblasenen Eiern und buntem Paper hergestellt. Zur Verzierung der Vögelchen wurde das Innere vom grünen Bast verwendet, das man vor Weihnachten auf der Wiese fand.

Am ersten Weihnachtstag sangen die Burschen in der Frühkirche um 7 Uhr das Leuchterlied. Jede Gruppe stand bei ihrem Leuchter. Der erste Leuchter stand vor dem Altar. Ein anderer befand sich auf der Empore bei der Orgel. Die beiden anderen Leuchter waren auf den seitlichen Emporen. Wunderschön und festlich war es jedes Mal, wenn sie dieses Lied im Wechsel sangen. Den Refrain: „O große Freude“, sang die ganze Gemeinde mit.

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Am ersten Weihnachtsfeiertag gingen wir zu unseren Großeltern mütterlicherseits. Da sagten wir auch unser Gedicht auf und bekamen natürlich unsere Geschenke und gutes Essen. Ich kann mich gut an ihren schön geschmückten Tannenbaum erinnern. Gern erinnere ich mich auch ans gemeinsame Singen der Weihnachtslieder in der Familie. Schön, wenn wir heute noch zusammenkommen, in Gemeinschaft feiern und Kraft schöpfen für unser Leben.

Auch wenn wir heute nicht mehr alle im gleichen Dorf wohnen, fühlen wir uns mit vielen Menschen verbunden. Mit Menschen aus Rumänien und mit vielen gleichgesinnten Menschen die wir in Deutschland kennengelernt haben.

Wir sind nicht allein unterwegs. Gott sei Dank

 

Leuchterlied

Tag der Freude, Tag der Wonne!
Du gabst uns der selgen Sonne
in dem Lehrer aller Völker,
der uns ew´ges Heil gebracht und zu Christen uns gemacht.

Held des Glaubens sei willkommen
und von allen aufgenommen.
Sei mit uns auf allen Wegen.
Zieh in unsere Herzen ein, mache uns vom Bösen rein.

Der große Glaubensheld, der Herrscher aller Welt
will unser Lehrer sein, vom Tode uns befreien.

Refrain: O große Freude!

Seines Wortes ew´ge Wahrheit
führ uns immer mehr zur Klarheit
dass wir seinen hohen Willen
zu erfüllen uns bemühn, dass uns ew´ge Freuden blühn.

Herr, dein Beispiel leucht uns immer.
Möge nie der Erdenschimmer
unsere Herzen je betören,
uns vom Guten abzuziehen. Lass uns stets das Böse fliehn.

Der Engel große Schar, verkündiget uns all:
es hat die Heilige Nacht, den Heiland uns gebracht.

Refrain: O große Freude!

Alles Gute kommt von oben.
Darum lasset uns stets loben
ihn, den Geber aller Gaben,
der die Welt so sehr geliebt, dass er seinen Sohn uns gibt.

Herr des Himmels und der Erden, hilf dass wir dir ähnlich werden.
Lass uns stets als gute Kinder, deiner Liebe würdig sein.
Mache unsere Herzen rein.

O Heiland, Jesu Christ, der du erschienen bist
dich preise unser Dank und unser Lobgesang.

Refrain: O große Freude

 

10. Neujahrsglückwünsche in Großau

In meiner Kindheit gingen wir Kinder in Großau am 1. Januar immer zu unserer Familie, unseren Verwandten und Nachbarn und wünschten ein glückliches Neues Jahr. Dafür lernten wir ein Gedicht auswendig speziell für das Neue Jahr, genau wie an Weihnachten. Heute wird es mir richtig bewusst, wie bedeutsam diese Gedanken sind und uns im Leben helfen können.

Einige Gedichte:

„Ein neues Jahr hat angefangen, lass es ein Jahr der Gnade sein
ein jeder blickt voll Verlangen in diese künftige Zeit hinein.“

„Hilf Herr Jesu lass gelingen, hilf das neue Jahr geht an,
lass es neue Kräfte bringen, dass auf´s neu ich wandeln kann.
Neues Glück und neues Leben wollest du aus Gnaden geben.“

Die meisten Gedichte waren Liedstrophen aus dem Gesangbuch. Damals war es für mich selbstverständlich, dass wir mit diesen wunderbaren Gedanken unseren Verwandten ein glückliches neues Jahr wünschen. Und einzelne Gedichte waren für kleine „Schlawiner“ = Schelme und zum Schmunzeln.

Ein siebenbürgisch sächsisches Gedicht:

„Ech wänschen äch än gläcklich Noh Johr,
aus Gieß hot gro Hohr, aus Kau hot än krammen Hieren,
giat mär än Krätzer ech bän gäfrieren.“

Deutsche Übersetzung:

„Ich wünsche euch ein glückliches Neues Jahr
Unsere Ziege hat graues Haar, unsere Kuh hat krumme Hörner,
gebt mir Geld ich bin gefroren.“

Ein landlerisches Gedicht:

„I pin ä kluas Pinkil.
Und stall mi is Winkil.
Wrum i nix ko, heb i ach nix o.“
d.h. „Ich bin ein kleines Bündelchen.
Und stell mich ins Winkelchen.
Weil ich nichts kann, fang ich auch nichts an.“

Unsere Verwandten schenkten uns Geld, wenn wir ihnen ein glückliches Neues Jahr wünschten. So hatten wir gleich zu Beginn des neuen Jahres Taschengeld. Bedeutsam war dieser Brauch auch für eine gute Gemeinschaft.

 

11. Unsere Jugendzeit in Siebenbürgen, Ende der 70-er Jahre und den 80-er Jahren

Bin dankbar ein Teil dieses großen Ganzen zu sein, für die lebhaften Begegnungen mit allen Menschen!

Wir haben das große Glück, dass wir wunderbare Jugendfreunde hatten und heute noch haben. Auch wenn wir uns in Deutschland selten sehen, fühlen wir uns verbunden. Wir freuen uns auf unsere Treffen, wir kennen uns.

Wir waren in den 70-er Jahren alle noch sehr jung und schätzten alle von Anfang an den respektvollen Umgang miteinander. An den Wochenenden und bei Namenstagen auch mitten in der Woche, waren wir gerne zusammen.

Anfangs war es das „Herbrijen“ im siebenbürgisch sächsischen Dialekt. „Hewrigen“ im landlerischen Dialekt. Deutsch übersetzt „Herbergen“, d.h. wir stellten einen Raum zur Verfügung, z.B. eine Sommerküche, wo unser Kränzchen = unser Freundeskreis sich traf. Da kam jeder mal dran. Die Absprache hat ganz gut geklappt auch ohne Telefon. Handys gab´s noch gar nicht. Wir haben uns in der Regel gleich bei unseren Treffen abgesprochen, wer am nächsten Wochenende „herbrijen“ kann. Später – eigentlich schon bald, konnten wir uns ein „Kefzimmer“ einrichten. Mit Kefen meinten wir unterhalten, Party feiern. Mit viel Liebe zum Detail wurden die Räume mit originellen Sachen ausgeschmückt. Die Wände hatten wir mit „Rogojinä“ verkleidet. Das waren große Wandteppiche aus Schilf. An der Decke hing ein Wagenrad, gut geeignet für „Tombolapäckchen“ (Wichtel). Im Eingangsbereich war eine „Seriglä“. Das ist ein Teil von einem Wagen der von Pferden gezogen wird. Hier war sie für unsere Sachen gedacht.

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Großes Glück hatten und haben wir immer noch mit unseren musikbegabten Freunden, die schon damals für gute Stimmung gesorgt haben. Ihnen verdanken wir viele durchgetanzte Nächte. Sogar Livemusik gab es. Herzlichen Dank heute noch dafür. Wenn sie im großen Saal spielten, waren wir natürlich dabei und haben bis früh morgens getanzt. Kulturelles Leben war uns allen sehr wichtig, im Kränzchen und vor allem im Gemeindeleben in Großau. Oft gab es ein Konzert oder ein Theaterstück. Danach wurden die Stühle weggeräumt im großen Saal und wir tanzten bis früh morgens. Eine Live-Band sorgte jedes Mal für gute Stimmung. Es gibt viele Großauer Leute, die sich sehr für das kulturelle Leben einsetzen. Theaterstücke schreiben, Theater spielen, es gibt eine Großauer Blaskapelle und Bands, Alleinunterhalter. Früher gab es einen Männerchor in der Kirche, der interessanterweise von einer Frau dirigiert wurde, von unserer Organistin.

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In unserem Kränzchen sind wir aus mehreren Jahrgängen vertreten. Es gab kein Schubladendenken unter uns. Sachs/Landler war nie ein Thema. Hauptsache wir hatten Gleichgesinnte an unserer Seite.

Unvergessliche Wanderungen in den Bergen haben unsere Gemeinschaft gestärkt. Wir konnten uns aufeinander verlassen. Ich kann mich nicht erinnern, dass es gefühlte Schnelle und Langsame gab. Wir blieben in den Bergen in der Gruppe zusammen. Unsere Eltern konnten nicht genau wissen, wo wir grad waren, und hatten trotzdem großes Vertrauen, weil sie genau wussten mit wem wir zusammen waren.

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Nachts, wenn es uns danach war bei einer Party, sind wir raus gegangen aus dem Dorf, Richtung Orlat und haben gesungen und getanzt auf der Straße.

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Die Tröge im Wald, Richtung Reußdöfchen, waren manchmal unser Ziel am Wochenende. Mit gepacktem Wägelchen sind wir raus marschiert. Ich denke wir haben auch dort übernachtet. Ich kann mich erinnern, dass wir zwischen den Bäumen ein provisorisches Zelt gespannt haben.

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Wir waren und sind alle immer noch große Naturliebhaber. Beim Wandern haben wir gerne gesungen. Singen kann Kräfte mobilisieren, kann das Wandern erleichtern. Eine herrliche Erfahrung.

Besondere Tage waren die Namenstage. Ob am Sonntag oder an einem Werktag, wer Namenstag hatte bekam am Vorabend ein Ständchen. 3 Lieder wurden gesungen, zum Schluss immer „Wahre Freundschaft“. Das Namenstagskind blieb erst in der Wohnung. Der „Chor“ sang draußen vor dem Eingang. Danach bedankte sich das Namenstagskind und alle wurden hereingebeten. Es gab belegte Brote, Kuchen, Wein, Eierlikör. Am 24 Juni haben 3 Freunde von uns Namenstag. Mein Lieber, da waren wir am Vorabend gut beschäftigt. Es war uns egal ob es am nächsten Morgen rausging in die Schule und manche schon zur Arbeit.Unsere Tradition war uns wichtig und die Arbeit am nächsten Tag auch. JAWOHL!

Bis wir heirateten wohnten wir im Elternhaus. Damals war es noch nicht üblich, dass junge Verliebte zusammenwohnten. Das war für uns auch in Ordnung, es war für uns selbstverständlich, dass wir erst zusammenziehen, wenn wir heiraten.

Unsere Hochzeit war nach Großauer Tradition. Wir kannten den Ablauf von den Vorbereitungen, der Trauung und dem Fest danach. Viele liebe Menschen halfen mit, um uns einen guten Start in diesen neuen Lebensabschnitt zu ermöglichen. Uns wurden viele Entscheidungen abgenommen. Unsere Eltern, Großeltern, Geschwister, Freunde, Nachbarn, alle halfen mit. In dieser Tradition habe ich mich immer getragen gefühlt, nie eingeengt.

Alle jungen Paar die heirateten, mussten einen neuen Antrag für die Ausreise nach Deutschland stellen. Der Anspruch mit den Eltern auszureisen entfiel.

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12. Wie alles mit der Ausreise aus Rumänien nach Deutschland begann

Schon als Kinder wussten wir, dass wir Verwandte in Deutschland haben. Seit dem Ende des zweiten Weltkrieges und der Deportation nach Russland, waren Verwandte in Deutschland und kamen nach Großau zu Besuch.

In den 70-er Jahren und davor, waren die rumänischen Grenzen offen und die Menschen durften aus Rumänien nach Deutschland zu Besuch. Viele kamen von diesen Besuchen nicht mehr zurück und taten alles, damit ihre Familien auch auswandern konnten nach Deutschland. Der rumänische Staat reagierte darauf, die Menschen durften ihre Angehörigen nicht mehr besuchen und die Ausreise aus Rumänien wurde sehr erschwert. Die Grenzen waren gesperrt für die deutschstämmigen Leute.

Die Menschen reagierten sehr unterschiedlich darauf. Eines war klar, keiner kann einem Volk auf Dauer die Freiheit rauben.Die Siebenbürger Sachsen und Landler, die von Anfang an schon im 13 Jh. einen Freibrief vom ungarischen König bekamen, in dem ihnen ihre Rechte zugesprochen wurden, Menschen die im Laufe der Jahrhunderte vielen Problemen ausgesetzt waren und viel getan haben um ihre Identität zu bewahren, diesem Volk wurden jetzt die Grenzen geschlossen.

Manche hatten Bekanntschaften, die ihnen halfen früher auszureisen. In Rumänien sagten wir: sie haben „pile“. Manche bekamen eine Sondergenehmigung wegen einer Krankheit, mit der man sich in Deutschland eine gute Behandlung oder Heilung erhoffte. Manche ganz Mutige oder manchmal aus Verzweiflung, riskierten ihr Leben und flüchteten über die Grenze. Außerhalb von Großau gab es einen großen See, gut geeignet für Ausdauerschwimmen. Jugendliche haben hier trainiert, um über die Donau schwimmen zu können. Leider sind zwei Jugendliche aus unserem Dorf gestorben, als sie über die Grenze wollten. Unvorstellbar wie traurig das damals war.

Manche haben sich alleine und andere in Gruppen auf den Weg gemacht. Manche organisiert, mit Helfern, die sich auskannten. Manche ganz spontan und alleine. Da kenne ich liebe Leute persönlich, die diesen Schritt alleine gewagt haben. Denen, die die Flucht gelang und im Nachbarland entdeckt wurden, kamen für ein paar Tage ins Gefängnis, bis ihre Identität geklärt war. Danach durften sie nach Deutschland weiterreisen.

Einige jungen Leute kamen durch eine Heirat nach Deutschland. Diese Paare brauchten in der Regel sehr viel Geduld, denn so eine Genehmigung dauerte lange. „Familienzusammenführung" hieß es, wenn Eltern zu ihren schon verheirateten Kindern auswandern durften, oder zu Geschwistern, usw. Wie schon erwähnt, gelang manchen die Ausreise mit „pile“. Leider war das ein sehr schmutziges Geschäft, denn in dem Fall musste Geld gezahlt werden. „Schmiergelder" nannten wir es damals in den 80-er Jahren. Das waren immer D-Mark soweit ich das mitgekriegt habe. „Die haben geschmiert" war in den 80-er Jahren ein bekannter Satz. Komisch war es nur, dass wir in Rumänien keine D-Mark besitzen durften. Einerseits brauchte man diese Leute, die mit Hilfe der Schmiergelder zur Ausreise verhalfen und andererseits Familienangehörige oder Freunde, die das Geld ausliehen. Wir hatte keine „pile“. Das Ergebnis war, dass wir erst nach knapp 10 Jahren Wartezeit ausreisen durften, als die Grenzen geöffnet wurden.

Zum Thema Rumänien & Deutschland hatte unser Großvater mütterlicherseits ein besonderes Schicksal.

Es begann im zweiten Weltkrieg. Rumänien und Deutschland waren anfangs Partner. Unser Großvater war zusammen mit den deutschen Soldaten im Krieg. Als gegen Ende des Krieges die Rumänen die Front wechselten und Rumänien auf der Seite der Russen stand, war unser Großvater auf einmal ein „Gegner“ der Deutschen. Er besaß die deutsche Nationalität, so wie wir alle, aber er war ein rumänischer Staatsbürger. Er kam in die Gefangenschaft nach Deutschland und hat auf einem Bauernhof gearbeitet. In dieser Zeit nach dem Krieg, sind wie schon anfangs erwähnt, manche in Deutschland geblieben. Unser Großvater wollte auch, dass unsere Großmutter mit ihren beiden Kindern nach Deutschland kommen soll. Damals war das möglich. Meine Großmutter konnte sich nicht dazu entscheiden, denn ihre Mutter war schwer krank. Sie hatte Rheuma und konnte nicht mehr Laufen. Zu der Zeit gab es in Rumänien noch keine Rollstühle, und so saß sie tagsüber auf einem Stühlchen und hat sich damit in der Wohnung bewegt. Weil unsere Großmutter mit ihren Kindern in Rumänien bleiben wollte, ist unser Großvater 1947 aus Deutschland nach Rumänien zu seiner Familie geflüchtet. Unsere Mutter war 4 Jahre alt als er heimkam und sie zum ersten Mal sah. Er hat einen sehr aussagekräftigen Spruch mitgebracht:
„Wohl oft fand ich was Aug und Herz ergötzte. Doch nie, was meine Heimat mir ersetzte!“
990 sind unsere Großeltern gemeinsam nach Deutschland ausgewandert. Großvater war 79 und Großmutter 74 Jahre alt. Zum Glück waren sie beide nicht wehleidig, klagten nie. Wir haben sie schon in unserer Kindheit als sehr zufriedene Menschen erlebt. Opa war Maurer, er verdiente das Geld und Oma legte Reserven an und teilte je nach Bedarf das Geld an ihre Kinder und Enkelkinder auf im richtigen Moment. Gut haben sie es damals gemacht. Denn jetzt bei der Ausreise, blieb so vieles Materielle zurück. Aber alle sahen vorwärts.

Dadurch, dass ihre 3 Kinder und Enkelkinder auch ausgewandert sind, waren sie bereit ihren Hof mit den ganzen Gebäuden, die der Großvater gebaut hatte aufzugeben, um nach Deutschland auszuwandern. Hauptsache, sie beide waren zusammen und wir alle in ihrer Nähe. Bei ihnen war es immer harmonisch, wir sind gerne zu ihnen gegangen.

Die Ru Nummer
Wir brauchten vor unserer Ausreise aus Rumänien erst Menschen in Deutschland, die bestätigten, dass wir zu ihrer Familie gehören. Es ging um die „Ru-Nr.“ Unser Pate, der Bruder meines Vaters mit seiner Familie aus Mainz, haben für uns die Einreise-Genehmigung beantragt, damit wir überhaupt eine Möglichkeit hatten, den Pass in Rumänien beantragen zu können. Sie haben sich sehr für uns eingesetzt. Wir sind ihnen sehr dankbar. Im Dorf hörte ich oft den Satz: „Habt ihr schon die Ru-Nr? “

Im März 1981 kam eine Bescheinigung vom Polizeipräsidium in Mainz. Da steht: „Betr.: Übernahme von Volksdeutschen aus Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland; hier: Eheleute..., sowie deren Kinder... (Unsere Eltern und wir Kinder sind alle mit unserem Namen und Geburtsdatum aufgeführt) Das Bundesverwaltungsamt in Köln hat inzwischen die Übernahme Ihrer o.a. Angehörigen ins Bundesgebiet genehmigt. Die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Bukarest ist vom Bundesverwaltungsamt unter dem Geschäftszeichen... Liste Ru... (mit unserer Ru-Nr.) - ermächtigt worden, die zur Einreise ins Bundesgebiet erforderlichen Sichtvermerke zu erteilen. Das Deutsche Rote Kreuz -Suchdienst- Hamburg, wurde ebenfalls entsprechend unterrichtet. Wir stellen ihnen nunmehr anheim, Ihren Angehörigen nahezulegen, sich bei den örtlichen rumänischen Behörden um eine Ausreisegenehmigung zu bemühen.“ Mit freundlichen Grüßen

Obwohl wir diese wichtigen Unterlagen hatten, konnten wir erst 1990 aus Rumänien auswandern. Im Laufe der Jahre, von 1981 bis 1990, wurde dieser Drang die Grenzen zu überqueren immer stärker. Es half kein Nachfragen beim Passamt in Hermannstadt oder sogar bei der Deutschen Botschaft in Bukarest. Ich wage es heute zu sagen: mit offenen Grenzen wäre dieser Drang auszureisen bei der deutschstämmigen Bevölkerung in Rumänien nicht so extrem aufgekommen.

Anfang 1990, nach der Diktatur, kam das neue Gesetz in Rumänien heraus:

Die Grenzen sind offen.
Für die Siebenbürger Sachsen und Landler die ausreisen wollten, gab es jetzt ein großes Aufatmen. Wir vertrauten darauf, dass wir tatsächlich ausreisen dürfen, wenn wir es wollen. Auch ohne „pile“=Bekanntschaften. Das hieß aber noch lange nicht, dass jeder/jede gleich losfahren konnte. Mit den „kleinen Formularen“ stellten wir den Antrag zur Ausreise beim Passamt und warteten auf die „großen Formulare“. Das waren die Vorstufen vom Pass. Viele Familien hatten diesen Antrag beim Passamt schon Jahre zuvor gestellt und bis jetzt vergebens auf den Pass gewartet. Schon die kleinen Formulare wurden Ende der 70-er und in den 80-er Jahren immer wieder abgelehnt. Die Nerven wurden bei vielen sehr strapaziert in dieser Zeit, wenn ihr Ausreiseantrag auch nach mehreren Anträgen nicht bewilligt wurde. Ärgerlich, wenn es nicht vorwärts ging und es leider oft eine Absage gab. Jahrelang hieß es bei uns in der Familie immer wieder: „Wir fahren sowieso nach Deutschland“. Vor 1990 waren schon viele aus unserer Familie und unserem Freundeskreis in Deutschland. In Mainz, Wolfsburg, Augsburg, Spay, Stuttgart, Aschaffenburg, Breisach, Wuppertal, München, Reutlingen... Sie konnten uns in Rumänien besuchen und uns wurde es untersagt sie zu besuchen. Jetzt durfte endlich auch unsere Großfamilie auswandern. Ich habe es als ein Gefühl von großer Freiheit empfunden. Erst wurden die Papiere gemacht, d.h. der Pass beantragt und dann ging es wieder los mit Warten. Spannend, wem werden jetzt die Papiere als erstes bewilligt. In dieser Zeit wurde eine Abschiedsfeier nach der andern gefeiert. Von manchen erfuhr man einfach, dass sie schon weggefahren sind. Es war für die meisten Menschen in diesen Ortschaften, wo so viele auf einmal wegzogen eine besondere Situation. Aufbruchsstimmung bei den einen, aber auch eine große Veränderung für viele die weiter dort lebten. Nachbarn, Bekannte, Freunde und auch Angehörige zogen weg und es kamen andere Menschen auf die Höfe, die sie auch erst kennen lernen mussten.

Nach vielen Jahren sagte uns ein ehemaliger rumänischer Polizist aus Großau, dass sie viele Menschen im Ort noch nicht kennen.

Thema: Kisten für die Ausreise
Wer die Bewilligung erhielt, packte Kisten mit Sachen die man als sinnvoll empfand. Diese Kisten hatten für alle Ausreisenden die gleiche Größe. Die Sachen, die für uns wertvoll waren, packten wir in diese Kisten. Z.B. Geschirr und in Großau gewebte Tischdecken. Handtücher die vor vielen Jahren mit Hanf und Leinen gewebt wurden. Unsere Mütter haben beim Anbau und Verarbeiten von Hanf selber noch mitgearbeitet als sie Kinder waren. Es heißt, wenn man Sachen aus Hanf im Schrank hat, da kommen keine Motten hin. Handarbeiten von unseren Omas, gehäkelte und genetzte Deckchen und Handlappen. Mehrere Frauen hatten früher einen Webstuhl in Großau, mit dem sie schöne Tischdecken webten. Manche wurden mit einer selbst gehäkelten Spitze verziert. „Fetzenteppiche“ waren sehr beliebt. „Fetzen“=Altkleider. Damals warf man selten ein Kleidungsstück weg. Aus alten Kleidungsstücken wurden 2-3 cm breite Streifen geschnitten und daraus konnte man sehr schöne und praktische „Fetzenteppiche“ mit einem großen Webstuhl weben. Die neuen haben wir in der Kiste nach Deutschland mitgebracht. Unsere Mutter hat vor vielen Jahren selber mit unserer Oma solche Teppiche auf einem großen Webstuhl gewebt. Puppen in der siebenbürgisch/ sächsischen oder landlerischen Tracht haben viele mitgebracht. Heute schätze ich noch sehr diese Sachen die wir von Rumänien mitgebracht haben.

Thema: Geburtsschein
Als wir unseren Pass erhielten, um nach Deutschland auszureisen, mussten wir unsern originalen Geburtsschein abgeben. Der „musste“ dortbleiben und wir bekamen ein DIN 4 Blatt, auf dem unsere Daten draufstanden. So kamen wir mit so einem Stück Papier, einem „Wisch“ nach Deutschland, das ich bis heute nicht verstehe. Manche Leute wählten den kürzeren bürokratischen Weg und beantragten einen Pass für Urlaub, auch wenn sie entschlossen waren in Deutschland zu bleiben. Mit dem konnten sie früher wegfahren. Sie packten Koffer, ließen vieles dort und zogen weg. Die Urlauber konnten wenigsten ihren originalen Geburtsschein mitnehmen.

Ausreisewelle von 1990
1990 nutzten viele die Möglichkeit so schnell wie möglich auszuwandern. Worauf sollten wir nach so langer Wartezeit noch warten?

Zum Glück wohnte die Mehrheit unserer Familie und unserem deutschen und rumänischen Freundeskreis bis zur Ausreise in unserem Dorf Großau, in einem Nachbardorf und in Hermannstadt. Wir konnten uns besuchen und Zeit miteinander verbringen. Auch wenn so viele von Großau wegziehen wollten, war es allen wichtig, dass wir in Verbindung bleiben. Jedes Mal, wenn wir hier in Deutschland zusammenkommen oder uns bei einem Besuch in Rumänien begegnen, freuen wir uns und genießen die Zeit. Wir wissen uns verbunden, und da ist es nicht ausschlaggebend wie oft wir uns sehen.

Dieser Zeitpunkt, wann wir ausreisen konnten, hing davon ab wann man die Bewilligung vom Passamt bekam und was Jeder/Jede noch zu erledigen hatte vor der Ausreise, z.B. Kisten packen und abschicken, den Hof verkaufen... Jetzt konnte Jeder/Jede entscheiden, ob sie den Hof behalten wollen oder privat verkaufen. In der Diktatur, bis Ende 1989 blieb der Hof dem Staat, wenn jemand das Land verließ. Dafür bekamen die Menschen nur eine kleine Summe ausgezahlt. Diese Höfe wurden dann vermietet.

Ein Überblick von unserer Reise
Von Großau-Mediasch-Nürnberg-Marienheide-Bramsche-Gemünden-Kreis Aschaffenburg.

Großau: vor unserer Ausreise feierten wir Abschied mit unseren rumänischen und deutschen Freunden, mit unseren Nachbarn und Arbeitskollegen. Wir aßen und tranken zusammen, sangen alte vertraute Volkslieder, wie: „Wahre Freundschaft“, „Rote Rosen“, „Stehn zwei Stern am hohen Himmel“, „So ein Tag so wunderschön wie heute“ und auch Heimatlieder wie: „Nach meiner Heimat da zieht´s mich wieder“. Wahrscheinlich mit gemischten Gefühlen, in Erinnerung an die Heimat in der wir bis dahin gelebt hatten und auch Vorfreude auf die neue Heimat. Dann brachten unsere rumänischen Freunde uns mit ihrer Dacia von Großau zum Mediascher Bahnhof. Unsere Freundin erzählte mir viele Jahre später, dass sie diesen Augenblick noch genau vor Augen hat, als der Zug mit uns Richtung Deutschland wegfuhr. Dafür braucht sie kein Foto.

Mediasch: Ab da reisten wir mit dem Zug weiter. Es ging über Ungarn, Österreich nach Deutschland. Der Zug war in Rumänien überfüllt. Viele Menschen standen im Gang des Zuges, man stolperte über die Koffer. Ich bekam einen Sitzplatz und konnte unser Kind auf dem Schoß halten. Diese starke Aufbruchstimmung die damals in Rumänien herrschte, war auch hier im Zug zu spüren. An der rumänisch/ungarischen Grenze war das für uns eine ganz aufregende Situation. Das war das erste Mal in unserem Leben, dass wir über die Grenze fuhren, in ein anderes Land. Die Kontrolle war ganz streng, unser Pass und unsere Koffer wurden genau kontrolliert. An der ungarischen/österreichischen Grenze wurden auch unsere Pässe kontrolliert, aber alles war viel lockerer. In Wien gab´s eine kurze Pause und wir stiegen um, in einen anderen Zug der Richtung Deutschland fuhr. Als wir uns der österreichischen/deutschen Grenze näherten, hielten wir schon unsere Pässe in der Hand. Pflichtbewusst, bereit wenn die Kontrolleure kommen. Niemand kam. Wahrscheinlich waren unsere Daten längst schon an der deutschen Grenze angekommen.

Nach dieser langen Wartezeit von fast 10 Jahren waren wir nun in Deutschland. Jetzt ging´s hier los mit dem Registrieren. In Rumänien waren wir rumänische Staatsbürger, gehörten aber zur deutschen Nationalität. Deshalb konnten wir den deutschen Pass beantragen.

Nürnberg: im Mai 1990 kamen wir abends am Nürnberger Bahnhof an. Da erwartete uns eine Familie, die auch aus Großau stammten und schon länger in Nürnberg wohnten. Sie kannten sich da aus und brachten uns auf dem kürzesten Weg zum „Grundig Hotel". „Kommt, damit ihr von den Ersten beim Anmelden seid“, sagten sie. Da wurden wir registriert, bekamen ein Essenspaket und durften zwei Tage dableiben. Schon in Nürnberg besuchten uns Familienangehörige. Ihnen war kein Weg zu weit, Hauptsache wir konnten uns in Deutschland begrüßen. Dieses Bedürfnis Gemeinschaft zu erleben, war hier genauso stark wie in Rumänien.

Marienheide: im Mai 1990 fuhren wir dann mit einem Bus in einer großen Gruppe in eine Kaserne nach Marienheide. Der Aufenthalt in der Kaserne war eine Zwischenstation, weil die Aufnahmestellen in Deutschland überfordert waren. In den 90-er Jahre kamen ganz viele Menschen aus Rumänien, Polen, Russland nach Deutschland. Da blieben wir über fünf Wochen und wohnten 8 Personen in einem Zimmer mit 4 Stockbetten. Heute bin ich noch sehr dankbar, dass wir immer ein Dach über dem Kopf hatten, zu essen und liebe Menschen an unserer Seite. Wir gingen zusammen in einen großen Essraum der Kaserne, wo wir mit vielen Menschen zusammen essen konnten. Wir wurden immer satt. Gott sei Dank. Mit unserem Taschengeld, das uns Verwandte geschenkt hatten, gingen wir in den Lebensmittelladen. Ich sehe es heute noch, wie wir vor den Regalen standen und genau ausgerechnet haben, welche Würstchen und welches Bier am billigsten ist. Mit einer schönen großen Traube hatte ich mich mit meiner Rechnerei vertan. Als ich zur Kasse ging sagte die Verkäuferin, die Traube kostet 5 Mark. Ich erschrak innerlich, weil ich weniger ausgerechnet hatte. Weil ich mich schämte, sie wieder zurück zu geben kaufte ich die Traube.

Ihr könnt euch vorstellen, wie bewusst wir diese Traube gegessen haben. Wir fanden schon bald Beschäftigung. Liebe Leute brachten Kleidung in die Kaserne, wo wir uns manches aussuchen konnten. Ich suchte mir einen blauen Pullover aus, die Wolle gefiel mir gut. Den trennte ich auf und strickte einen neuen Pullover. Ich denke die Stricknadeln habe ich im Handgepäck mitgebracht. Genau in dieser Zeit war die Fußballweltmeisterschaft. Die Fußballliebhaber hatten da ihre Freude. Und zur Freude aller, wurden die deutschen Spieler 1990 Weltmeister. Einfach wunderbar und unvergesslich. Unvergessliche Momente von damals bleiben uns, als uns auch hier Familienangehörige besuchten. Dieser starke Zusammenhalt in der Familie ist uns sehr wichtig und schenkt uns jedes Mal Kraft. Familienangehörige die schon seit vielen Jahren in Deutschland lebten, machten es sogar möglich, dass wir sie von Marienheide aus besuchten. Das war etwas ganz Besonderes für uns. Es waren unsere ersten Besuche bei Familienangehörigen hier in Deutschland. Ein besonderer Moment für mich, das Straßenschild zu lesen, dass ich in Rumänien auf den Briefumschlag geschrieben hatte. Jetzt hatten wir die Möglichkeit an einem Ort zu sein, den wir bis dahin nur vom Erzählen und von den Fotos her kannten. Es war tatsächlich wahr, jetzt durften wir hier sein.

Herzlichen Dank noch einmal an euch auch an dieser Stelle. Wir genossen die Zeit zusammen, gingen zusammen spazieren. Herrlich. Nach mehr als fünf Wochen waren wir froh und erleichtert, dass es von Marienheide aus weiterging, um unsere Papiere fertigzumachen, um als deutsche Bürger anerkannt zu werden.

Bramsche: eine Woche Zeit für Akten. Auf engem Raum standen da Stockbetten für 16 Personen in unserem Zimmer. Hauptsache, es ging weiter. Wir hatten wieder ein Dach über dem Kopf und zu essen. Was uns ganz wichtig war, wir waren als kleine Familie immer zusammen. Gott sei Dank.

Gemünden: 2 Tage ging es da weiter mit Akten, jetzt im Freistaat Bayern. Da erwartete uns ein großer Topf mit Bertramsuppe. Ich habe mich so sehr gefreut über diese Suppe, die uns Menschen gekocht haben, die wir nie gesehen haben. Das war und ist auch heute noch für mich eine Freude, über so einen Willkommensgruß mit einem vertrauten Essen.

Wieder dieses Gefühl, wir sind nicht alleine, auch wenn wir uns immer wieder von Menschen trennen müssen.

In diesen 2 Tagen kümmerten wir uns um die Papiere, damit wir im Freistaat Bayern aufgenommen werden. Die Entscheidung wurde uns leicht gemacht, in welche Richtung wir weiterziehen können. Genau an diesem Tag als wir in Gemünden entscheiden sollten in welche Richtung wir ziehen, wurde in dem Übergangswohnheim wo meine Eltern ein Zimmer hatten, auch für uns eines frei. Da war die Freude wieder riesengroß. Im Übergangswohnheim durften wir 8 Monate wohnen. Hier fühlten wir uns sehr wohl. Wir verbrachten gerne Zeit mit unseren Familienangehörigen. Auch wenn manche nicht in unserer Nähe wohnten, wir fühlten uns immer mit allen verbunden. Diese seelische Unterstützung hatten wir und das ließ uns nach vorne schauen.

Im Übergangswohnheim hatten wir ein Zimmer mit Balkon. Jedes Plätzchen wurde gut genutzt. Der Balkon war phantastisch. Da hatten wir einen wunderschönen Ausblick. Wir bekamen einen Einblick wie hier Heu gemacht wird. Kein Mensch war mit der Heugabel unterwegs, so wie wir es gewohnt waren. Ein Mensch mit einem Traktor war da unterwegs und in drei Tagen hatte er das Heu von einer riesengroßen Fläche im Trockenen.

Zum Kochen hatten alle Mitbewohner im Übergangswohnheim genug Platz in einer Gemeinschaftsküche. Jetzt konnten wir zum ersten Mal seit wir in Deutschland waren, wieder selber kochen. Herrlich. Zum Kochen waren mehrere Herdplatten da.

Unter allen Mitbewohnern, die aus Rumänien, Polen und Russland stammten, war ein großes Wohlwollen. Letztendlich hatten wir alle einen ähnlichen Weg. Wir waren alle aus unserem vertrauten Lebensraum weggezogen und wollten in Freiheit hier leben und arbeiten, um aus eigener Kraft für unseren Lebensunterhalt zu sorgen und uns frei bewegen.

Schon bald besuchten wir unsere Verwandten und Freunde die in ganz Deutschland verteilt sind. In Augsburg, Wolfsburg, Mainz, Spay, Ludwigsburg, Stuttgart, Mannheim, Breisach, Wuppertal, Aschaffenburg usw.

Aus unserem Übergangswohnheim war es nicht weit bis zur Kirche. Da gingen wir gerne hin. Manchmal wurden wir sogar mit dem Kirchenbus abgeholt. Die Gemeinschaft mit den Menschen war sehr wohltuend. Wir konnten wieder in der Gemeinde mitsingen, die Predigten hören. Das war von Anfang an ein Stückchen Heimat. Seit vielen Jahren bin ich Mesnerin in der Kirche hier in Deutschland. Viele Menschen aus der Gemeinde haben uns von Anfang an sehr warmherzig aufgenommen. Herzlichen Dank an dieser Stelle und Gott sei Dank.

Unsere erste Wohnung in Deutschland: am 1 März 1991 duften wir in eine neue Wohnung in einem 6 Familienhaus einziehen. Da wohnen wir heute noch ganz zufrieden. Wir bekamen gleich Arbeit. Arbeit gab es genug zu der Zeit. Dadurch, dass wir nicht anspruchsvoll waren mit Klamotten usw. konnten wir gut sparen. Uns war es immer wichtig, dass wir uns nur dann etwas kaufen, wenn wir uns es leisten können. Lieber weniger haben und ein Plus auf dem Konto. Damit bin ich heute noch zufrieden. Das kann man auch leicht sagen, solange man gesund ist und Arbeit hat. Jetzt sind alle aus unserer Großfamilie in Deutschland. In Großau haben wir noch unsere rumänischen Nachbarn und Bekannte und unsere Freunde in Hermannstadt, mit denen wir bis heute in Verbindung sind. Diese starke Gemeinschaft hat mich sehr geprägt. Heute noch ist unser Zusammenhalt in unserer Großfamilie ein großes Geschenk. Gott sei Dank. Wir freuen uns, wenn es allen gut geht. Herr hilf, dass wir uns weiter so unterstützen können. Da könnte ich jetzt ganz viel aufzählen, wie viel Zuwendung es schon gab. Auch wenn es uns manchmal sehr schlecht ging, wegen Krankheiten z.B., sind wir nicht da stehen geblieben. Es gab immer wieder Menschen, die uns ernst genommen haben und uns geholfen haben.

Habe ein Problem und rege mich auf, wenn heute in den Medien einzelne Schicksale veröffentlicht werden, wo man nicht direkt helfen kann. Meine persönliche Meinung ist: wo eine Möglichkeit besteht, etwas zu tun, um Not von Einzelnen oder in der Welt zu lindern, da soll darüber in den Medien berichtet werden. Da gibt es sehr viel zu tun. Schon als Kind habe ich erfahren, wirklich helfen konnten uns die Menschen die da waren an Ort und Stelle, damit wir aus einer schwierigen Situation wieder rauskamen. Habe gelernt, wenn es jemand anderem oder mir nicht gut geht, nicht da stehen zu bleiben. Wenn es irgendwie geht nach einem guten Weg Ausschau halten. Es gelingt nicht immer und dass ich es dann auch akzeptiere ist ganz wichtig. Aber da wo wir aufeinander zugehen und ein Wohlwollen erleben, das ist ein großes Geschenk, das ist Gnade. Und solche Geschenke hatten wir schon viele.

Wir sind nicht alleine auf der Welt. Gott sei Dank!

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13. Unser deutscher und rumänischer Schulunterricht in Rumänien

In Rumänien leben mehrere Nationalitäten, die als solche auch anerkannt sind. Rumänen, Ungarn, Deutsche uvm. Wir hatten das große Glück, dass wir als deutsche Nationalität in deutscher und rumänischer Sprache in der Schule unterrichtet wurden. In meinem Jahrgang 1962/63 gab es in Großau drei Klassen. Zwei deutsche und eine rumänische Klasse. Daheim redeten wir unseren siebenbürgisch sächsischen oder landlerischen Dialekt. Schon im Kindergarten waren wir in der deutschen Gruppe, d.h. unsere Kindergartentante = Erzieherin redete deutsch mit uns. Ich kann mich gut erinnern wie wir uns im Kindergarten jedes Mal verabschiedeten. Im Hof stellten wir uns zu zweit in einer Reihe auf. Dann sangen wir das Lied: „Auf Wiedersehn, auf Wiedersehn im Kindergarten war es schön.“ Es war wirklich schön. Wir übten sogar für ein Kindergartenfest das Märchen „Die sieben Geißlein“ zum Vorführen für unsere Eltern und Großeltern. Bis zur 7-ten Klasse wurden wir in allen Fächern in deutscher Sprache unterrichtet, außer den Fächern „Rumänisch“ und „Englisch“. Ab der 8-ten Klasse kam der Geschichtsunterricht in rumänischer Sprache dazu. In meiner Schulzeit waren 10 Klassen Pflicht.

Auch am Gymnasium gab es die deutschen Klassen und es gibt sie immer noch, obwohl so viele deutschstämmige Menschen aus Rumänien ausgewandert sind. In Hermannstadt wird am „Samuel-von-Bruckenthal-Gymnasium“ weiter Deutsch unterrichtet. Viele Schüler dieser Schule lernen die siebenbürgischen Volkstänze und führen sie mit Begeisterung vor. Am großen Siebenbürger Treffen 2017 konnte ich sehen, mit wie viel Begeisterung die jungen Menschen auf der Bühne am Großen Ring in Hermannstadt, diese schönen Tänze vorführten. Alle Achtung.

Deutsche Literatur findet man in Hermannstadt in den Buchläden „Schiller“ am Großen Ring und im „Erasmus Büchercafe“ in der Strada Mitropoliei. Bei jedem Besuch in Rumänien kann ich an diesen Buchläden nicht vorbei gehen. Die Auswahl an deutscher Literatur ist da groß.

Ich bin bis heute dankbar, dass ich beide Sprachen lernen durfte. Wir haben rumänische Nachbarn und rumänische Freunde mit denen wir bis heute in Verbindung sind. In der Arbeit, beim Einkaufen, allgemein im Alltag war es ganz gut und hilfreich in Rumänien, dass wir die rumänische Sprache gelernt haben.

In Deutschland kamen wir von Anfang an mit der deutschen Sprache sehr gut zurecht. Alle Generationen, ob jung oder alt, alle konnten sich hier in Deutschland gut verständigen.

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Die Schule in Großau, 2014 fotografiert

Ich fand unseren Unterricht in Großau ganz intensiv. Je nach Thema war unsere Motivation zum Lernen unterschiedlich. Als Fremdsprache hatten wir Englisch. Ganz ehrlich, ich konnte damals nicht viel damit anfangen, wo sollte ich es anwenden? Nach der Schulzeit habe ich es manchmal bereut, dass ich die englische Sprache nicht besser gelernt habe, als ich die Gelegenheit dazu hatte. Seit vielen Jahren ist Rumänien zum Glück wieder weltoffen. Die Menschen können ins Ausland. Viele junge Menschen die ich kenne, sprechen fließend Englisch.

In der Eingangshalle der Großauer Schule sind Fahnen von anderen Ländern. Wir alle können viel voneinander lernen.

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14. Zu Besuch in Rumänien, immer wieder gerne, Bilder von Großau 2017

Ich bin sehr gerne in Großau, Hermannstadt und an vielen Orten in Rumänien zu Besuch. Vor allem um Zeit mit den Menschen von dort zu verbringen.

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Und es gibt sehr viel zu entdecken. Die vielen großen Storchennester und die vielen Störche die im Sommer in Großau wohnen, sind mir seit meiner Kindheit sehr vertraut. Im Herbst ziehen sie weiter und kommen jedes Jahr wieder.

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In Rumänien gibt es sehr schöne Städte und Dörfer mit ihren Kirchenburgen, Straßen und Häusern. Armut gibt es leider auch wie überall auf der Welt.

Da hilft genaues Hinschauen und wo es geht, helfen. Für mich bedeuten Häuser mit Fassaden die nicht renoviert sind noch keine Armut. Denn wenn die Menschen, die da wohnen sich unterstützen, genug zu essen haben, dann sind sie reich.

Gute Ausflugsziele sind die Karpaten mit ihren Wäldern und Seen, die Schwarzmeer Küste mit sandigen Stränden. Das Donaudelta mit seinem Biosphärenreservat, große Flächen stehen hier unter Naturschutz. Die Moldau Klöster und die Holzkirchen in der Maramures sind sehr sehenswert.

Jeder/jede kann für sich die Besonderheiten dieses schönen Landes Rumänien entdecken.

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Anna Ramsauer

heiße ich, geborene Wiserner.
Ich habe bis 1990 in Großau gelebt.

Als wir mit meinem Mann, unserer Tochter, mit meinen Eltern, Schwiegereltern, Geschwistern, Großeltern mütterlicherseits, Freunden und vielen mehr nach Deutschland ausgewandert sind, war ich 27 Jahre alt.

Viele aus unserer Familie und unserem Freundeskreis waren schon hier. Ich bin sehr dankbar für diese Zeit in Deutschland und davor in Rumänien.

2017 habe ich begonnen einige Erinnerungen von früher aufzuschreiben. Ursprünglich war das für meine Familie gedacht. Für meine Enkeln, Nichten, Neffen. Dabei ist es nicht geblieben. Ich habe mich im Laufe der Jahre mit vielen Menschen unterhalten und so kamen immer mehrere Themen und Ideen dazu.

Im Jahr 2022 habe mich entschieden meine Erinnerungen zu veröffentlichen.

Ich freue mich über Gespräche und Erinnerungen mit interessierten Menschen zu diesen Themen. Jeder Mensch hat seine eigene Sichtweise.

Viel Spaß beim Lesen!

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